GHDI logo

Bericht von George Messersmith an das State Department [US-Außenministerium] zum gegenwärtigen Stand der antisemitischen Bewegung in Deutschland (21. September 1933)

Seite 6 von 8    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


In diesem Zusammenhang mag es für das Department von Interesse sein, dass ich vor einigen Tagen im Reichsinnenministerium ein Gespräch mit dem Ministerialdirektor Dr. Buttsman führte, den ich wegen eines amerikanischen Arztes in Deutschland aufsuchte, und er bestand darauf, die jüdische Frage zu erörtern. Er referierte mir die übliche Verteidigung, die man in verschiedenen Ministerien und in der Presse antrifft und die ununterbrochen von allen Seiten an uns herangetragen wird und darauf hinausläuft, dass man durch die Lösung der Judenfrage unserem Land und auch dem Rest der Welt einen Dienst erweise. Bei der Umsetzung der verschiedene jüdische Professoren und Freiberufler betreffenden Gesetze habe man versucht, alle Härtefälle zu vermeiden, und der von der deutschen Regierung in Anwendung gebrachte Numerus clausus sei der einzig mögliche Weg. Ich sagte ihm, dass ich die Judenfrage nicht diskutieren wolle, dass es mich aber, da er schon damit angefangen habe, interessieren würde, wie viele jüdische Professoren es unter dem Numerus clausus an der Berliner Universität noch gebe. Er vermittelte mir daraufhin den Eindruck, dass nur sehr wenige Professoren belästigt worden seien, und als ich ihm entgegnete, dass meines Wissens nur noch einer, wenn überhaupt, übrig geblieben sei, schwieg er. Dann fragte ich ihn, wie viele jüdische Professoren es noch an der Universität Leipzig gebe, und er antwortete, dass die meisten von ihnen noch arbeiteten. Als ich ihn darauf hinwies, dass man vor weniger als zwei Wochen fünf von ihnen einen nach dem anderen entlassen habe und ich bescheid wüsste, dass kein einziger nichtarischer Professor in Leipzig übrig geblieben sei, wusste er wieder nichts zu entgegnen. Ich erwähne das nur, um aufzuzeigen, dass man unter den hohen Regierungsbeamten ein bemerkenswertes Ausmaß an Unehrlichkeit antrifft. Da Dr. Buttsman anscheinend einer der ranghohen Regierungsbeamten ist, an die sich amerikanische und ausländische Professoren um Informationen wenden müssen, wenn sie nach Deutschland kommen, ist es recht verständlich, warum manche dieser Freiberufler Deutschland mit einem so unzutreffenden Bild der Lage verlassen.

Die Situation der jüdischen Ärzte in Deutschland wird immer schwieriger. Sie wurden von den Ärztevereinigungen ausgeschlossen, in denen die Mitgliedschaft unabdingbar ist, um in den Genuss der normalen Privilegien zu gelangen, die einem Arzt die Ausübung seines Berufes ermöglichen. Sie sind, abgesehen von jüdischen Einrichtungen, von allen Krankenhäusern und Kliniken ausgeschlossen. Die einzige Ausnahme, die in diesem Zusammenhang gemacht wurde, betrifft jüdische Ärzte, die während des Krieges an der Front gedient haben. Ein solcher Kriegsdienst ist allerdings keine Privilegiengarantie. Ich lege Ihnen zwei Zeitungsausschnitte aus einer Nürnberger Zeitung bei. Im ersten Ausschnitt werden die Namen von elf jüdischen Ärzten in Nürnberg aufgelistet, deren Praxen erneut zur gesetzlichen Krankenkasse zugelassen wurden; um ihr Bedauern über diese offizielle Wiederzulassung auszudrücken, versieht die Zeitung diese Notiz mit einem schwarzen Rand. Der zweite Ausschnitt stammt aus derselben Zeitung vom folgenden Tag und bezieht sich auf den vorhergehenden Artikel. Der Vorsitzende der Nürnberger Ärztevereinigung Dr. Strock publiziert dieselbe Liste der elf Ärzte und teilt mit, dass die Veröffentlichung ihrer Wiederzulassung ohne sein Wissen und Einverständnis erfolgte. Danach warnt er die Menschen davor, diese Ärzte trotz der Tatsache, dass sie wieder über eine Krankenkassenzulassung verfügen, zu konsultieren oder irgendwelche Dienste von ihnen in Anspruch zu nehmen. Die „Vossische Zeitung“ vom 24. August meldet die Gründung einer „Ärzteakademie“, zu der kein Arzt nichtarischer Abstammung zugelassen ist.

Die Lage jüdischer Anwälte in Deutschland hat sich in keiner Weise gebessert. Unter der Mehrheit der wieder zugelassenen Anwälte breitet sich eine allgemeine Depression aus. Dr. Max Alsberg, einer der angesehensten Berliner Anwälte, beging im Alter von nur 56 Jahren vor einigen Tagen in einem Sanatorium im Engadin Selbstmord. Im „Berliner Tageblatt“ erschien am 13. September ein ziemlich langer Artikel, der die beruflichen Leistungen von Dr. Alsberg hervorhebt und behauptet, er sei an einem Herzinfarkt gestorben, an dem er schon seit geraumer Zeit leide. Ich hingegen habe die Information, dass Dr. Alsberg sich wegen seiner anhaltenden Depression das Leben genommen hat.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite