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Wie Soldaten das Leben im Krieg beschreiben I: Eduard Schmieder (1914-1915)

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Loos, den 17. Dezember 1914.
Meine Weihnachtsbriefe bekommen alle — ich kann anfangen wie ich will —, den Stempel einer weichen, wehmütigen Stimmung. Ich denke auch viel an die Tage der Vorbereitung auf den Heiligen Abend, die ich liebte wie wenig andere. Ich erinnere mich besonders lebhaft eines solchen Sonntags vor einigen Jahren. Da bin ich zuerst allein und dann mit Dir in der belebten Stadt umhergestiefelt, und da überkam mich eine besonders heftige Sehnsucht, die in schönen Träumen Wahrheit werden wollte.

Solche Träume und der Kanonendonner, der mich eben beunruhigt, passen wenig zusammen. Es ist ein unerhörtes ständiges Rollen heute, ein fortgesetztes Krachen und Brummen und Zischen und Pfeifen.

Ich muß Dir doch meinen Traum von der letzten Nacht mitteilen, der mich lebhaft beschäftigt und mich mit abergläubischer Furcht erfüllen will: Ich war im Krieg, sonderbarerweise mit den Russen. Ich lag in einem Schloß auf Vorposten. Ich kam in ein Zimmer, und wie ich eintrete, eilt mir ein schönes, verlockendes Weib entgegen. Ich will sie küssen, und da ich mich ihr nähern will, grinst mich ein Totenschädel an. Einen Augenblick bin ich erstarrt vor Schreck, dann aber küsse ich ihn, küsse ihn so heftig und heiß, daß mir ein Stück seines Unterkiefers zwischen den Lippen bleibt. Im selben Augenblick verwandelt sich der Tod in meine Anna — und dann muß ich aufgewacht sein.

Das ist der Traum vom Tod, den ich geküßt habe.


Loos, den 7. Februar 1915.
Die Reclam-Büchlein habe ich mit größter Freude und größtem Genuß beide schon gelesen. Und der Erfolg: Ich bin voll der größten Sehnsucht geworden. Wir hatten ein paar wundervolle Frühlingstage, der Himmel in hellem Blau, die Luft so klar, daß man in die weiteste Ferne sieht, und über dem Schützengraben die singenden Lerchen, daß auch das Herz anfangen möchte zu singen, als sei kein Krieg, als ob nicht jeder Augenblick die tödliche Granate bringen könnte. Dazu noch diese eindringlichen Geschichten aus den alten Zeiten. Das weckt die unstillbare Sehnsucht auf nach dem glühendheißen Leben, das ich nie erreichen kann. Ich hab's im Augenblick so gern und möchte es an mich drücken wie meinen herztausigen Schatz!



Quelle: Eduard Schmieder, in Philipp Witkop, Hg., Kriegsbriefe gefallener Studenten. München, 1928, S. 144-46.

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