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Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn von Ludwig Quidde (1894)

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Die Zurückdrängung des Mannes, der zunächst zur Leitung der Staatsgeschäfte berufen gewesen wäre, erwies sich bald als ein Vorgang, der nicht etwa in einem Gegensatz der beiden Persönlichkeiten sondern in der ganzen Art Caligulas seinen Grund hatte. Von hochgestellten Männern, die unter ihm wirklich einflußreich gewesen waren, hören wir gar nichts. Der Kaiser konnte keine selbständige Kraft neben sich ertragen; — er wollte sein eigener Minister sein, und nicht nur das: — auf jedem Gebiete auch selbständig eingreifen. Dazu aber fehlte es seiner im Grunde beschränkten Natur, auch ehe dieselbe zu schlimmerem ausartete, an Kenntnissen und an Talent, an Ruhe und Selbstzucht.

Bald trat sehr viel Ärgeres hervor.

Sein rücksichtsloser Eigenwille (21), die überraschenden Reformideen, die plötzlichen und grausamen Maßregelungen hochgestiegener Männer mögen als Äußerungen einer kräftigen Herrschernatur noch den Beifall großer Massen entfesselt haben, als Einsichtigere dahinter schon ein schreckliches Gespenst lauern sahen: den Wahnsinn.

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Man hat sich gewöhnt, von Cäsarenwahnsinn als einer besonderen Form geistiger Erkrankung zu sprechen, und dem Leser wird die packende Scene aus Gustav Freytags „Verlorener Handschrift" in Erinnerung sein, wo der weltfremde Professor ahnungslos dem geisteskranken Fürsten aus Tacitus das Bild seines Leidens entwickelt. Die Züge der Krankheit: Größenwahn, gesteigert bis zur Selbstvergötterung, Mißachtung jeder gesetzlichen Schranke und aller Rechte fremder Individualitäten, ziel- und sinnlose brutale Grausamkeit, sie finden sich auch bei anderen Geisteskranken; das Unterscheidende liegt nur darin, daß die Herrscherstellung den Keimen solcher Anlagen einen besonders fruchtbaren Boden bereitet und sie zu einer sonst kaum möglichen ungehinderten Entwicklung kommen läßt, die sich zugleich in einem Umfange, der sonst ganz ausgeschlossen ist, in grausige Thaten umsetzen kann.

Der spezifische Cäsarenwahnsinn ist das Produkt von Zuständen, die nur gedeihen können bei der moralischen Degeneration monarchisch gesinnter Völker oder doch der höher stehenden Klassen, aus denen sich die nähere Umgebung der Herrscher zusammensetzt. Der Eindruck einer scheinbar unbegrenzten Macht läßt den Monarchen alle Schranken der Rechtsordnung vergessen; die theoretische Begründung dieser Macht als eines göttlichen Rechtes verrückt die Ideen des Armen, der wirklich daran glaubt, in unheilvoller Weise; die Formen der höfischen Etikette — und noch mehr die darüber hinausgehende unterwürfige Verehrung aller derer, die sich an den Herrscher herandrängen — bringen ihm vollends die Vorstellung bei, ein über alle Menschen durch die Natur selbst erhobenes Wesen zu sein; aus Beobachtungen, die er bei seiner Umgebung machen kann, erwächst ihm zugleich die Ansicht, daß es ein verächtlicher gemeiner Haufen ist, der ihn umgiebt. Kommt dann noch hinzu, daß nicht nur die höfische Umgebung, sondern auch die Masse des Volkes korrumpiert ist, daß der Herrscher, er mag beginnen, was er will, keinen mannhaften offenen Widerstand findet, daß die Opposition, wenn sie sich einmal hervorwagt, zum mindesten ängstlich den Schein aufrecht erhält, die Person des Herrschers und dessen Anschauungen nicht bekämpfen zu wollen, ist gar dieser korrumpierte Geist, der das Vergehen der Majestätsbeleidigung erfunden hat und in der Versagung der Ehrfurcht eine strafbare Beleidigung des Herrschers erblickt, in die Gesetzgebung und in die Rechtsprechung eingezogen: so ist es ja wirklich zu verwundern, wenn ein so absoluter Monarch bei gesunden Sinnen bleibt.


(21) Der [ . . . ] rühmte sich Caligula laut Sueton 29.

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