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Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn von Ludwig Quidde (1894)

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Zur Regierung gelangt, war der junge Kaiser für alle zunächst eine unbekannte, noch rätselhafte Erscheinung. Wohl hatte man gewiß in den letzten Jahren allerhand Mutmaßungen über ihn verbreitet, günstiges und ungünstiges; man rühmte, so dürfen wir annehmen, aus wie hartem Holze dieser Jüngling geschnitzt sein müsse, der sich unter so schwierigen Verhältnissen zu behaupten gewußt hatte, man fürchtete vielleicht seinen Eigenwillen, die Neigung zum Mißbrauch einer so großen Gewalt, die Einwirkung unreifer persönlicher Ideen, man wußte auch allerhand von einer früh hervorgetretenen Brutalität zu erzählen; vor allem aber überwog gewiß die Auffassung, daß seine jungen Jahre fremden Einflüssen leicht zugänglich sein würden; man durfte darauf rechnen, daß zunächst die Regierungsgewalt des allmächtigen Garde-Präfekten noch gesteigert werden würde; war doch der junge Kaiser, wie alle Welt behauptete, diesem ganz besonders verpflichtet! (8)

Von vielen dieser Dinge, die man erwarten und fürchten mußte, geschah nun so ziemlich das Gegenteil. Der leitende Staatsmann scheint sehr bald in Ungnade gefallen zu sein, sein Einfluß trat ganz zurück, der Kaiser nahm selbst die Zügel der Regierung in die Hand und begann sogleich sein eigenstes Regiment. Das Volk jubelte ihm zu (9); denn wie eine Erlösung ging es bei dem Regierungswechsel durch alle Kreise, eine Ära der Reformen schien zu beginnen und für liberale Gedanken eine freie Bahn sich zu eröffnen (10).

So vielversprechend waren die Anfänge des Caligula, der als Sohn des zu früh dahingeopferten Germanicus und der Agrippina im Jahre 37 n. Chr. seinem Großoheim, dem Tiberius, nachfolgte und nun durch sein Auftreten die Welt in Erstaunen setzte.

Daß der unter Tiberius zuletzt allmächtige Minister und Prätorianer-General Macro, an dessen Hand Caligula doch zum Throne emporgestiegen war, anscheinend alsbald beiseite geschoben wurde, ist schon erwähnt. Diese Emanzipierung des jungen Kaisers schien zugleich eine Änderung der Regierungsgrundsätze zu bedeuten (11). Alte Forderungen der liberalen Elemente wurden erfüllt. Vor allem wurde dem politischen Leben wieder mehr Freiheit gelassen. Caligula schien Ernst machen zu wollen mit Beobachtung gewisser Verfassungsformen, die unter Tiberius in Verfall geraten waren; bei Feststellung des Budgets und des Militäretats schien er der öffentlichen Meinung mehr Einfluß zu gönnen (12); das freie Wahlrecht der Volks-Comitien schien wieder


(8) Philo, Legatio ad Gaium 6. Sueton 12. Dio Cassius 58, 28; 59, 10. Tacitus, Ann. 6, 56.
(9) Sueton, Tib. 75. Cal. 13. Philo, Legatio ad Gaium 2; 6.
(10) Dio Cassius 59, 3: [ . . . ].
(11) Auch Ranke meint in seiner Weltgesch. 3, S. 91, daß die Beseitigung des Präfekten Macro, die so gewaltiges Aufsehen in der Welt machte, eine Änderung des Systems zu bedeuten schien.
(12) Sueton 16. Dio Cassius 59, 9.

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