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Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft (1887). Vorrede zur 2. Auflage (1912)

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Und doch zweifelte ich nicht, daß es keine allgemein gültige Erklärung war. Die historische Rechtsschule, die im Gewohnheitsrechte ihren Liebling fand, auf das Rechtsgefühl und die still wirkenden Kräfte des Volksgeistes sich berief, fand damals viele neue Bestätigungen durch die vermehrten Studien über den primitiven Agrarkommunismus, mit denen, nach v. Maurer, Harthausen u. a. eben damals Laveleye zusammenfassend auftrat (sein Werk wurde von K. Bücher übertragen und ergänzt als „Das Ureigentum" 1879); ebenso durch die Aufhellung der Klan- und Familienrechte, deren Grundzüge die vergleichende Rechtswissenschaft in Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten darstellte — namentlich traten die Elemente der arischen Institutionen durchsichtiger hervor: die schönen Werke Leist's gruben zu meiner Freude tief in dieses Feld; vorher schon hatte mir des Australiers Hearne „The aryan household" nicht geringen Eindruck gemacht (woraus, durch mich veranlaßt, Paulsen manches in seine „Ethik" aufnahm); auch Post's Schriften waren mir nützlich, Lyall's Asiatic Studies führten mich in das noch lebendige indische Klanleben, gaben Aufschlüsse über die Beziehungen zwischen Staat und Religion in China. Damit verband sich mir der tiefe Eindruck von Fustel de Coulanges' La cité antique, von Bachofen's Mutterrecht, Morgan's Ancient Society u. a.

Durch alle diese Werke wurde die Einsicht in die unterscheidenden Merkmale der modernen Gesellschaft und des modernen Staates — deren Begriffe ich in Lorenz von Steins bedeutender Lehre als absolut gültige dargestellt fand — vertieft und gefördert. Hinzu kam die neue Theorie der Gesellschaft, welche R. von Ihering mit seinem leider Fragment gebliebenen „Zweck im Recht" entworfen hatte (Band 1 1877): wieder ganz rationalistisch verfahrend, so daß mir seine Lehre als „Erneuerung des Naturrechts" erschien; wie ich auch A. Wagners tiefgreifende rechtsphilosophische Erörterungen (in seiner „Grundlegung" Bd. 1 zuerst 1876), ungeachtet ihrer staatssozialistischen Tendenzen (ja auch wegen dieser), als solche Erneuerung begriff. Ich teilte schon damals diese praktische Richtung, aber die theoretische Konstruktion erschien mir nicht in allen Stücken als zureichend.

Der Gedanke dieser Schrift reifte zuerst, als ich im Jahre 1880 in Maine's Ancient Law auf die Stelle traf, die S. 223 f. (213 f. der 1. Aufl.) ins Deutsche übertragen worden ist. Der Kontrakt, als das typische Rechtsgeschäft zugleich charakteristisch für alle rationalen Rechtsverhältnisse, diese die beglaubigten Ausdrücke aller rationalen Sozialverhältnisse — in solchem Sinne konsequent auch „die" Gesellschaft und der Staat als auf Verträgen der Individuen, diese auf ihren freien und bewußten Willen beruhend zu denken. Aber keineswegs lassen sich alle rechtlichen Verhältnisse und Verbindungen nach dieser Formel konstruieren; gerade die ursprünglichen, immer fortwirkenden, familienhaften nicht. Sind sie nur Zwangsverhältnisse, wie sie Herbert Spencer erschienen? Offenbar nicht. Auch sie werden bejaht, aus freiem Willen, wenn auch in anderer Weise als jene Verhältnisse und Vereinbarungen, die klar und deutlich als Mittel für die (sich begegnenden und zusammentreffenden) Zwecke der Individuen gedacht werden. In welcher Weise? das war nun mein Problem.

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