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Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher (1890)

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Es ist ein feiner und ganz individueller, aber auch tief bedeutsamer Zug der deutschen Volksseele, daß innerhalb des alten deutschen Rechts — gerade bei dem schon erwähnten Institut der Eideshelfer — die rein persönliche Überzeugung als ein juristischer Beweisgrund angesehen wurde; daß also Persönlichkeit und Subjektivität hier gleichsam objektiven Wert gewinnen. Gerade weil dieser Gebrauch so sehr alt ist und gerade weil er den heute vorherrschenden römischen Rechtsanschauungen schnurstracks zuwiderläuft, beweist er, wie hoch dem Deutschen die Persönlichkeit als solche steht und wie fremd die auf Objektivität abzielende, aber häufig nur geistige Farb- und Charakterlosigkeit erzielende heutige Wissenschaft seinem Herzen im Grunde ist. „Wer sich selbst fehlt, kann nur dadurch geheilt werden, daß man ihn sich selbst verschreibt," äußert der tief denkende und tief fühlende Novalis; in modernes Deutsch übertragen, würde das lauten: „wer an Objektivität leidet, kann nur dadurch geheilt werden, daß man ihm Subjektivität verschreibt". Soweit es sich nun aber um eine für Deutschland heraufdämmernde Kunstperiode handelt, so werden die leitenden Geister — die historischen Ideale, welche für eine solche maßgebend sind — unter den künstlerischen Heroen des Volkes zu suchen sein. Der Gang und die Richtung der deutschen Bildung werden für künftig offenbar durch diejenigen Männer vorgezeichnet, welche in dem Gesamtverlauf der bisherigen deutschen Geschichte als die tatsächlich höchsten Bildungsträger erscheinen. In ihnen sind gewissermaßen die festen mathematischen Punkte gegeben, welche eine Projizierung der kommenden deutschen Bildung in allgemeinen Umrissen ermöglichen; verbindet man diese Punkte zu einer Linie und verlängert dieselbe, so trifft man auf das rechte Ziel. Nun ist es aber bemerkenswert, daß bisher nicht Gelehrte, sondern Künstler die am weitesten vorragenden Höhepunkte der deutschen Bildung darstellen. Walther von der Vogelweide und Dürer, Shakespeare und Rembrandt, Goethe und Beethoven — nicht Renaissancephilologen oder Naturwissenschaftler von heute müssen als solche Höhepunkte gelten.


Das Vorbild für heute: Rembrandt
Jede rechte Bildung ist bildend, formend, schöpferisch und also künstlerisch; insofern muß man es freudig begrüßen, daß sich unser Volk jetzt allmählich einer einseitig vorherrschenden Wissenschaft ab und der Kunst zuwendet. Dies ist die geistige Achsenverschiebung, um welche es sich zunächst im deutschen Leben handelt; und es fragt sich nur, in welcher Art und unter welchem Zeichen sie sich nun vollziehen soll.

Wenn die Deutschen das vorzugsweise individuelle Volk sind, so kann auf künstlerischem Gebiet ihnen auch nur der individuellste ihrer Künstler als geistiger Wegführer dienen; denn ein solcher wird sie am ehesten auf sich selbst zurückweisen. Unter allen deutschen Künstlern aber ist der individuellste — Rembrandt. Der Deutsche will seinem eigenen Kopfe folgen, und niemand tut es mehr als Rembrandt. In diesem Sinne muß er geradezu der deutscheste aller deutschen Maler und sogar der deutscheste aller deutschen Künstler genannt werden. Freilich entspricht seine äußere Geltung einem so hohen und einzigen inneren Werte bis jetzt noch nicht; er wird geschätzt, aber nicht genug. Rembrandt ist das Prototyp des deutschen Künstlers; er entspricht deshalb vollkommen als Vorbild vielen Wünschen und Bedürfnissen, welche dem deutschen Volke von heute auf geistigem Gebiet vorschweben — sei es auch teilweise unbewußt. Unter anderen Verhältnissen als den gegenwärtigen würde irgend ein anderer großer Deutscher diese Rolle übernehmen können und müssen; jetzt, da die Deutschen in ihrer Bildung an dem Spezialisten- und Schablonentum kranken, kann der ausgesprochenste Universalist und Individualist: Rembrandt ihnen helfen. Er kann sie zu sich selbst zurückführen. Er ist das betreffende historische Ideal für die nächste Zeit; er ist der feste Punkt, an den neue zukunftsreiche Bildungsformen sich anschließen können. Rembrandt aber war von Geburt ein Holländer. Es ist bezeichnend und

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