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Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher (1890)

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Nur Geist kann den Geist beschwören; Faust stieg zu den Müttern hinab; der jetzige Deutsche muß zu seinen Vätern hinaufsteigen — um den Schlüssel zur Zukunft zu finden. Eine volle lebendige Gestalt, welche das Volk vor Augen hat, bedeutet hundertmal mehr als ein Schlagwort oder eine Theorie; das men, not measures gilt auch hier. Goethe hat auf diesen Weg gewiesen in den Worten: „Was an uns Original ist, wird am besten erhalten und belebt, wenn wir unsere Altvorderen nicht aus den Augen verlieren." Gleiches kann nur durch Gleiches erkannt werden; ein Volk versteht sich in seinen eigenen Volksgenossen; das ist der Vorzug der historischen vor den sonstigen Idealen. Jene haben vor diesen die innere Kontinuität des Lebens voraus. Neues Feuer zündet sich an altem an.

Das Institut der „Eideshelfer" stellt sich als eine uralte deutsche und griechische Rechtsgewohnheit dar; recht verstandener Heroenkultus aber ist eine Art von sittlicher Eideshelferschaft, welche das Volk für seine letzten und tüchtigsten Eigenschaften in Anspruch nimmt. Das individualistische Prinzip, welches den Deutschen überwiegend beherrscht, gab seinem Wesen öfters etwas Unstetes, Zerfahrenes, Zerfließendes; nicht nur in politischen, sondern auch in geistigen Dingen hat sich dies bisher betätigt; gerade demgegenüber bieten jene historischen Ideale einen festigenden Halt. Sie haben als Gesamtpersönlichkeiten zu wirken; sie können und sollen leuchtende Paniere sein, um welche sich die Schar der Kämpfenden, Strebenden, ernst Wollenden in der Gegenwart sammelt. Sie sollen Muster sein; aber nicht für Kenner, sondern für Könner; nicht als eine Kost für Feinschmecker, sondern als eine solche für den Kern des Volks. Es ist praktisch von wenig Wert, das Genie auf Flaschen zu ziehen, wie es heutzutage in Shakespeare- und Goethegesellschaften geschieht; Genie will vielmehr an der Quelle genossen sein; nur so vermag es stärkend und befruchtend zu wirken. Besondere Zeiten erfordern es natürlich, zu einem besonderen Heldenbild aufzublicken; für die Auswahl des letzteren ist das Zeitbedürfnis und die geistige Zeitströmung richtungweisend. Umgekehrt wird sein Einfluß auf die verschiedenen Lebensgebiete eines Zeitalters von denjenigen Bewegungen und Problemen abhängen, welche dieses gerade erfüllen. In politischen Zeiten wird man auf politische Helden, in künstlerischen Zeiten auf künstlerische Helden hinsehen müssen; immer aber wird es darauf ankommen, in diesen Männern nicht das Vorübergehende, ihre spezielle Leistung, sondern das Bleibende, ihre innere Gesinnung nachzuahmen. Nicht das Zufällige, sondern das Notwendige, nicht den einzelnen Mann, sondern das Weben der Volksseele in ihm hat man in jedem Fall zu beachten und zu befolgen. Dann wird man von jener Geistesgemeinschaft, jenem Heroenkultus, jener Selbsterkenntnis des Volksgeistes auch die entsprechenden Früchte ernten. Einem Volk, das diese Methode der Erziehung auf sich anwendet, wird es so wenig an Kräften fehlen wie dem Antäus, solange er die mütterliche Erde berührte. Denn es ist sich selbst treu geblieben.

Den großen konservativen Zug, welcher einem nationalen Geistesleben allein Stetigkeit und infolgedessen das verleiht, was es zu seinem gesunden Bestande unumgänglich braucht und was man etwa: Stil des nationalen Daseins nennen kann, findet ein jedes und auch das deutsche Volk nur im Anschluß an die großen und wahrhaft schöpferischen Geisteskräfte seiner eigenen Vergangenheit: an seine historischen Ideale. Von ihnen ist derselbe beschränkende, regelnde, normierende Einfluß innerlich zu erwarten, welchen die politische Neugestaltung Deutschlands äußerlich auf dieses teilweise ausgeübt hat und künftig noch ausüben wird; sie stehen zwischen Kunst und Politik in der Mitte; sie führen aus dieser zu jener hinüber.

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