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Kurt Karl Doberer, „Der Pfennig war das Mark der Währung” (Rückblick)

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Wir wohnten im vierten Stock. Im dritten lebte eine kleine Beamtenwitwe mit zwei musikalischen Töchtern und einem Logierherrn. In dieser Zeit, da die Wohnungen ziemlich groß und die Gehälter ziemlich klein waren, hatten viele Familien einen Logierherrn, mit dessen Miete die Familienfinanzen aufgebessert wurden.

Im zweiten Stock, also schon in den etwas vornehmeren Etagen, wohnte die Familie Hamburger. Von Frau Hamburger bekam ich ab und zu selbstgebackenen Mazzes. Obwohl ich seitdem nie mehr welchen gesehen habe, weiß ich heute noch, wie er schmeckt und wie er aussieht.

Im ersten Stock war die Familie Geissler zu Haus. Sie hatte im Hinterhaus einen Metallbetrieb. Frau Geissler nahm mich häufig mit in ihren Garten am Ludwigskanal. Sie züchtete Nelken, deren Duft mir nach achtzig Jahren immer noch in der Nase liegt. Sie steckte mir Nelken in alle meine Knopflöcher und auf den Tiroler Hut, und so marschierte ich stolz nach Hause. Wie man sieht, wurde ich von den Frauen des ganzen Hauses verwöhnt. Es war eine friedliche, freundliche Zeit.

Schon früh steuerte mich mein Vater zur Technik. Mit fünfeinhalb Jahren besaß ich eine kleine Dampfmaschine und einen Eisenbahnzug, der von einer richtigen, mit Spiritus geheizten Lokomotive gezogen wurde.

Der große Traum für Jungen, die kleinen und die halbwüchsigen, war um 1910 der Flugzeugbau. Viele dachten daran, ein Flugzeug zu bauen, auch wir im Hinterhof der Schweinauer Straße. Modelle lieferten die Bilderserien, die mit Liebigs Fleischextrakt geliefert wurden. Sie wurden eifrig studiert. Es mußte eine Entscheidung zwischen einem Aeroplan vom Typ Blériot und dem Farman-Doppeldecker getroffen werden. Inzwischen bauten wir den Kabinensitz aus einem halben Faßdeckel und verschiedenen Brettern, die im Hof herumlagen. Wichtig war, daß das Kabinenstück schön angestrichen wurde, einmal blau, dann wieder rot. Die Farbe bezogen wir aus den Fässern eines Malereigeschäftes, das sich auch im Hof befand.

Praktische Grundlage für diese Flugbegeisterung war die Flugwoche, die in diesem Sommer auf dem Exerzierplatz bei der Schweinauer Kaserne stattfand. Kaum höher als die Hausdächer kamen die leichten Flugmaschinen herein, um über unseren Köpfen hinweg zum Landen anzusetzen. Ein Name ist mir fest im Gedächtnis geblieben: der des Piloten Hirth, der ein Jahr später den Fernflug von München nach Berlin ausführte.

Die Erinnerung an diese Zeit liegt wie in Nebelschwaden versteckt. Nur da und dort, oft nicht an eine feste Zeit gebunden, tauchen Fetzen des Erinnerns im Gedächtnis auf. Es muß auch in diesem Sommer 1910 gewesen sein, daß ich mit meinem Vater auf dem großen Volksfest auf dem Ludwigsfeld war.

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