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Helene Stöcker, „Die moderne Frau” (1893)

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Aber so wenig selbst der moderne Mann schon fähig ist, dies Weib zu begreifen – so wenig er es also zu seiner Gefährtin macht –, so wenig ergibt sich das moderne Weib dem Manne. Nicht aus Askese oder aus Unlust an ihm – aus einem vielmehr äußerlichen Grunde: Was alles – in unsern unpraktisch zurückgebliebenen häuslichen und ökonomischen Verhältnissen – auf sie wartet, das genügt, ihre Augen einstweilen noch offenzuhalten: hinter der großen Seligkeit die Küche und die Kinderstube (nicht als ob sie ihre Kinder einmal nicht lieben würde), aber aus dem freien Menschen wird ein Lasttier mit unglaublich raffinierten Verpflichtungen – und sie dürstet nach der Freiheit ebenso wie nach der Liebe – erst beide vereint vermögen ihr die Harmonie des freien Menschentums zu bringen. So hat sie denn die nötige Kritik, um sich nicht durch ihre jungen, heißen Sinne überrumpeln zu lassen und vielleicht nach kurzem Rausch sich und andere elend zu machen –, obwohl sie es nur zu gut weiß: Das Beste vom Leben kann nur in der innigsten Gemeinschaft zweier freier Menschen – zwischen Mann und Weib erblühen – ohne Frage, ohne Zweifel! Es begegnet ihr oft, wenn sie irgendwo davon redet, daß man ehrlicher, offener, natürlicher werden solle, daß man vor allem endlich das Weib lehre, sich bewußt als Weib zu fühlen – daß man sie dort mitleidig erstaunt, zweideutig lächelnd ansieht: »Wie unschuldig Sie sein müssen!«

So hält sie denn sich selber fest als das große Glück, nach dem sie rastlos gejagt und das sie endlich – so über Erwarten – gefunden. Sie weiß es jetzt, daß jeder, der frei werden will, es nur durch sich selber werden kann. Sie hält, was sie hat, daß niemand ihre Krone nehme: Vernunft und Kunst und Wissenschaft – des Menschen allerhöchste Kraft! Ihr Ziel ist: ein Mensch zu sein, dem nichts Menschliches fremd ist! Aber sie hofft auch auf die kommende Zeit, da aus ihrer Gemeinschaft mit einem Manne eine Ehe werden kann! – –



Quelle: Helene Stöcker, „Die moderne Frau“, Freie Bühne, Jg. 4 (1893), S. 1215-17.

Abgedruckt in Jürgen Schutte und Peter Sprengel, Die Berliner Moderne 1885-1914. Stuttgart, 1987, S. 152-58.

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