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Die „Feudalisierung des Bürgertums”? Teil I: Mark Twain, Bummel durch Europa [A Tramp Abroad] (1880)

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Dann bezogen die Duellanten abermals Stellung; ein kleines Blutrinnsal lief dem Verletzten an der Seite des Kopfes herunter und von dort über die Schulter und am Körper abwärts bis auf den Fußboden, aber es schien ihn nicht zu bekümmern. Der Zuruf erklang, und die beiden fuhren ebenso heftig aufeinander los wie zuvor; abermals regneten und prasselten und blitzten die Hiebe; alle paar Augenblicke entdeckte einer der flinkäugigen Sekundanten, daß ein Säbel verbogen war – dann riefen sie »Halt!«, schlugen die miteinander kämpfenden Waffen hoch, und einer der Helfer bog die verbogene Klinge wieder gerade.

Weiter ging der wundervolle Tumult – auf einmal sprang ein heller Funke von einer der Klingen, und diese Klinge, die in mehrere Stücke zerbrochen war, schickte eins ihrer Bruchstücke in hohem Flug an die Decke. Ein neuer Säbel wurde angereicht und der Kampf fortgesetzt. Die körperliche Anstrengung war natürlich ungeheuer; und nach einer Weile ließen die Kämpfer beträchtliche Erschöpfungen erkennen. Sie durften sich in kurzen Abständen immer wieder einen Augenblick ausruhen; weitere Rastpausen verschafften sie sich durch gegenseitiges Verwunden, denn dann konnten sie sich setzen, während der Arzt Scharpie und Verband anlegte. Es ist Vorschrift, daß der Kampf fünfzehn Minuten andauern muß, falls die Männer durchstehen; und da die Pausen nicht mitzählen, zog sich dieses Duell meiner Schätzung nach über zwanzig bis dreißig Minuten hin. Schließlich wurde entschieden, daß die beiden Männer zu ermattet waren, um sich noch weiter zu schlagen. Sie wurden weggeführt, von Kopf bis Fuß hochrot durchtränkt. Es war dies ein guter Kampf, aber er zählte nicht, teils weil er nicht die vorgeschriebenen fünfzehn Minuten (tatsächlichen Schlagens) gedauert hatte, teils weil keiner der beiden Männer durch seine Wunden kampfunfähig geworden war. Es war ein unentschiedener Kampf, und das Korps-Gesetz fordert, daß unentschiedene Kämpfe aufs neue ausgefochten werden, sobald die Widersacher von ihren Wunden genesen sind.

Während des Duells hatte ich mich hin und wieder ein wenig mit einem jungen Herrn vom Weißmützen-Korps unterhalten, und er hatte erwähnt, daß er sich als nächster schlagen werde, und hatte mir auch seinen Herausforderer gezeigt, einen jungen Herrn, der an der Wand gegenüber lehnte, eine Zigarette rauchte und in aller Ruhe dem im Gang befindlichen Duell zusah.

Meine Bekanntschaft mit einem der Beteiligten an dem kommenden Zweikampf hatte zur Folge, daß ich ihm mit einer Art persönlicher Anteilnahme entgegensah; ich wünschte natürlich, er werde gewinnen, und es war alles andere als angenehm zu erfahren, daß er wahrscheinlich nicht gewinnen werde, denn er war zwar ein hervorragender Fechter, aber der Herausforderer galt als ihm überlegen.

Alsbald begann das Duell, und zwar mit demselben Ungestüm, das auch das vorhergehende ausgezeichnet hatte. Ich stand nahebei, konnte jedoch nicht unterscheiden, welche Hiebe zählten und welche nicht – sie fielen und verschwanden wie Lichtblitze so schnell. Anscheinend zählten sie alle. Die Säbel bogen sich immerzu über die Köpfe der Gegner hinweg und schienen von der Stirn bis zum Wirbel aufzutreffen; aber dem war nicht so – eine schützende Klinge fuhr, für mich unsichtbar, jedesmal dazwischen. Nach zwölf Sekunden hatte jeder der Männer zwölf- bis fünfzehnmal zugehauen und zwölf bis fünfzehn Schläge abgewehrt, und nichts war passiert; dann wurde ein Säbel außer Gefecht gesetzt, und es folgte eine kurze Ruhepause, während der ein neuer herbeigebracht wurde. Gleich zu Beginn der nächsten Runde erhielt der Student vom weißen Korps eine böse Wunde an der Seite des Kopfes und brachte seinem Gegner eine ebensolche bei. In der dritten Runde empfing dieser eine weitere schwere Kopfwunde, und jenem wurde die Unterlippe gespalten. Danach gelang dem Studenten vom weißen Korps eine ganze Reihe schwerer Wunden, ihn selber jedoch erwischte es nicht mehr ernstlich. Nach insgesamt fünf Minuten brach der Arzt das Duell ab; der Herausforderer hatte solch erhebliche Verletzungen erlitten, daß weitere Wunden gefährlich werden konnten. Diese Verletzungen boten einen gräßlichen Anblick, bleiben jedoch besser unbeschrieben. Wider Erwarten war mein Bekannter also der Sieger.



Quelle: Mark Twain, Bummel durch Europa [A Tramp Abroad] (1880), Übersetzung aus dem Deutschen ins Englische von Gustav Adolf Himmel. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel Verlag, 1997, S. 36-42.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Insel Verlages.

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