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Die „Feudalisierung des Bürgertums”? Teil I: Mark Twain, Bummel durch Europa [A Tramp Abroad] (1880)

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Aber zurück zu meinem Bericht. Ein Student mit weißer Mütze nahm uns in Empfang und stellte uns sechs oder acht Freunden vor, die ebenfalls weiße Mützen trugen, und während wir noch da standen und uns unterhielten, wurden zwei seltsam aussehende Gestalten aus dem Raum nebenan hereingeführt: zwei voll zum Duell gerüstete Studenten. Sie waren barhäuptig; ihre Augen wurden von einer eisernen Brille geschützt, die einen Zoll oder noch mehr vorstand und deren Lederriemen die Ohren platt an den Kopf banden; ihr Hals war dick mit Binden umwickelt, die ein Säbel nicht zerschneiden konnte; vom Kinn bis an die Enkel waren die beiden gründlich gegen Verletzungen gepolstert; ihre Arme waren Lage über Lage dick bandagiert, so daß sie wie massive schwarze Klötze aussahen. Diese sonderbaren Erscheinungen waren vor einer Viertelstunde ansehnliche Jünglinge in eleganter Kleidung gewesen, nun jedoch glichen sie Wesen, denen man nur in Alpträumen begegnet. Mit steif abstehenden Armen kamen sie daher; sie hielten sich nicht selber aufrecht; andere Studenten gingen neben ihnen her und gewährten ihnen die nötige Stütze.

Alles eilte nun zum freien Ende des Saales, und wir schlossen uns an und bekamen gute Plätze. Die Kombattanten wurden mit dem Gesicht zueinander aufgestellt, jeder mit mehreren Angehörigen seines Korps zur Assistenz um sich herum; zwei Sekundanten faßten gutgepolstert und mit einem Säbel in der Hand nahebei Posten; ein Student, der keinem der gegeneinander antretenden Korps angehörte, begab sich an eine günstige Stelle, von der aus er den Kampf als Schiedsrichter beobachten konnte; ein weiterer Student stand mit einer Taschenuhr und einem Notizbuch bereit, um die Zeit und die Zahl und Art der Wunden festzuhalten; ein grauhaariger Arzt war zugegen mit seinem Zupflinnen, seinen Binden und seinen Instrumenten. Nach einer kurzen Pause grüßten die Duellanten den Schiedsrichter ehrerbietig, dann traten die verschiedenen Helfer einer nach dem anderen vor, nahmen mit Anstand ihre Mütze ab und grüßten ihn ebenfalls und gingen wieder an ihren Platz zurück. Alles war nun bereit; Studenten drängten sich dicht aneinander am Rand des freien Platzes, und andere standen auf Stühlen und Tischen hinten ihnen. Aller Augen waren dem Mittelpunkt des Interesses zugewandt.

Die Kombattanten beobachteten einander mit wachsamen Augen; es herrschten vollkommene Stille und atemlose Anteilnahme. Ich glaubte, daß ich nun allerlei kluge, bedachtsame Arbeit zu sehen bekommen würde. Nichts dergleichen. Als durch Zuruf das Zeichen zum Anfangen gegeben wurde, sprangen die beiden Erscheinungen vor und ließen mit solch rasender Geschwindigkeit Schläge aufeinander niederregnen, daß ich nicht unterscheiden konnte, ob ich die Säbel sah oder nur ihr Blitzen in der Luft. Der prasselnde Lärm dieser Hiebe, wenn sie auf Stahl oder Bandagen trafen, hatte etwas wundervoll Aufrüttelndes, und es wurde mit solch fürchterlicher Wucht geschlagen, daß ich nicht begriff, wieso der gegnerische Säbel von dem Anprall nicht niedergehauen wurde. Nach einer kleinen Weile sah ich inmitten des Säbelblitzens ein Büschel Haare durch die Luft segeln, so als habe es lose auf dem Kopf des Opfers gelegen und sei von einem plötzlichen Zugwind fortgepustet worden.

Die Sekundanten riefen »Halt!« und schlugen gleichzeitig die Säbel der Kombattanten mit ihren eigenen hoch. Die Duellanten setzten sich; einer der offiziellen Helfer trat vor, untersuchte den verletzten Kopf und betupfte die Stelle ein paarmal mit einem Schwamm; der Arzt kam und strich das Haar zurück – und legte eine hochrot klaffende Wunde von etwa zwei bis drei Zoll bloß und machte sich daran, ein ovales Stück Leder und ein Büschel Zupflinnen darüber zu binden; der Rechnungsführer trat heran und vermerkte einen Punkt für die Gegenseite in seinem Buch.

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