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Der Aufruf der neu gegründeten Konservativen Partei in einem Bundesstaat (1876-1877)

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Januar 17. [ . . . ] Die Zunahme der socialistischen Partei in Dresden ist sehr auffallend. [ . . . ] Der letzteren [Conservative] Partei mißt man die Schuld bei, daß es Bebel möglich wurde zur Stichwahl zu gelangen, denn Viele, die sich ihr jetzt angeschlossen haben, würden früher für den fortschrittlichen Candidaten Minckwitz gestimmt haben, immerhin aber scheint die Annahme richtig, daß die traurigen gewerblichen Verhältnisse eine Menge Leute bewogen für Bebel, ohne daß die letzteren deshalb als Socialdemokraten zu betrachten sind. Diese Erscheinung wird sich, wenn auch aus andern Gründen bei der Stichwahl in viel auffallenderer Weise wiederholen [ . . . ] . [Der Gesandte vermerkt, er habe von verschiedenen Leuten gehört, daß die Konservativen offen verlautbarten] sie wollen ihre Stimmen lieber dem Socialdemokraten Bebel, als dem nationalliberalen Mayhoff geben. Diese Conservativen gehören der Aristocratie an — der Hofgesellschaft —. Daß die Feindschaft gegen Preußen die eigentliche und ausschließliche Basis ist, auf der sich alles Denken und Urtheilen dieser unverbesserlichen Gesellschaftskreise bewegt, gestehen die Mitglieder derselben jetzt ebenso wenig ein wie früher, sie haben aber ein Feld gefunden, auf dem sie unter dem Deckmantel conservativer Gesinnung ihrem leidenschaftlichen und lang verhaltenen Groll wieder einmal Luft machen können. Es versteht sich von selbst, daß hierbei die ultramontane Clique zu der auch die Gesandten von Oesterreich und Bayern mit ihren Frommen gehören in antipreussischem Sinne wirkt. Es sind nach dem Ausspruch der Conservativen die liberalen Gesetze, welche das Proletariat in den industriellen Centren vermehrten, die Massen entchristlichten, den Gründungsschwindel schufen, Handel und Wandel zu Grunde richteten und das verarmte Volks dem Socialismus zuführten. Dies alles wird als Werk der Nationalliberalen betrachtet, welche um so hassenswerther erscheinen, als sie nach Ansicht der Particularisten auf die Vernichtung und Mediatisirung Sachsens hinarbeiten, wozu die Durchführung des Reichseisenbahn-Projects der erste Schritt sein würde. Die Parole lautet mithin: Sachsen darf im Reichstage nur durch echte Sachsen vertreten sein, denn daß ein deutscher Reichtagsabgeordneter deutsche Interessen zu vertreten hat der Gedanke liegt ihnen sehr fern. Nachdem die Conservativen nun mit ihrem Candidaten Käuffer durchgefallen sind, (dem beiläufig bemerkt sein Hauptmannstitel sehr geschadet hat) stehen sie vor der Frage, ob sie bei der Stichwahl für Mayhoff, einen Mecklenburger, oder für Bebel stimmen, oder ob sie sich der Wahl enthalten sollen.

Es ist auffallend, wie viele dieser Herren entschlossen scheinen, für Bebel zu stimmen. Die Einen gehen von der Idee aus, daß einige Socialdemokraten mehr im Reichstage keine große Gefahr bringen, daß man durch eine Verstärkung dieser Partei die Nationalliberalen schädige und daß vor Allem alle Hebel angesetzt werden müssen um diese Partei zu stürzen.

Die Anderen sagen, je schneller die socialistische Partei wächst, und je überraschender die von dieser dem Staate drohende Gefahr der Regierung vor Augen gestellt wird, desto sicherer ist die Aussicht, daß die Regierung in conservativen Bahnen einlenkt.

Die Socialisten werde die Regierung erforderlichen Falls noch niederkartätschen, an die Nationallibealen aber werde sie sich nicht heranwagen.

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