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Eugen Richter über den deutschen Adel (1898)

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Unter den Studenten der Rechtswissenschaft, aus dem alle höheren Verwaltungsbeamten mit Ausnahme eines kleinen Theils der Landräthe hervorgehen, stehen nur 5,8 % Adlige gegenüber 94,2 % Bürgerlichen. Aber im Ressort des preußischen Ministeriums des Innern gestaltet sich das Verhältnis in den einzelnen Rangstufen wie folgt: von den Regierungsassessoren sind 32 v. H. adlig und 68 v. H. bürgerlich, von den Regierungsräten, auf denen die eigentliche Arbeit ruht, sind nur 17,7 v. H. adlig und 82,3 v. H. bürgerlich, von den Oberregierungsräten 34,4 gegen 65,6, bei den Landräten sind 52,8 v. H. adlig gegenüber 47,2 v. H. bürgerlich, von den Regierungspräsidenten sogar 76,5 gegen 23,5 v. H.

Seit Ende 1893 bis Februar 1897 sind 103 Landratsämter mit 71 (69%) und 32 (31%) besetzt worden. Im Jahre 1894/95 haben aber 608 Regierungsassessoren ihr Staatsexamen gemacht, worunter sich nur 185 (31%) Adlige befanden. Bei den Ernennungen von Landräten steht hiernach das Verhältnis gerade umgekehrt. In Pommern sind unter 28 Landräten nur 3, in Brandenburg unter 28 nur 6 bürgerlich.

Was sodann das Offizierskorps betrifft, so ist nach der Rang= und Quartierliste von 1897 bei der Generalität das Bürgertum nur mit 16,9 vom Hundert beteiligt. Unter den 74 Generalen der Infanterie, Kavallerie und Artillerie befindet sich neben zehn erst neuerlich Geadelten nur ein einziger Bürgerlicher. Im Ganzen aber befinden sich im preußischen Heer unter den Offizieren nur 44 Prozent Adlige. 30 Regimenter, ferner die Bataillone der Gardejäger, der Gardeschützen und der dritten Jäger haben überhaupt keinen einzigen, bürgerlichen Offizier. Die Zahl der Regimenter, die nur adlige [S.11] Sekondelieutenants haben, ist von 15 auf 17 gewachsen, so daß also außer den drei Bataillonen im ganzen 47 Regimenter nur adligen Nachwuchs annehmen. In einem Regiment giebt es überdies auch nicht einmal einen bürgerlichen Reserveoffizier. Bei der ganzen Gardekavallerie zählt man nur 14 Reserveoffiziere bürgerlichen Namens. Im Ganzen zählt die Garde 93 Prozent adlige Offiziere, welche letztere aber zunächst in der Garde=Fußartillerie, bei den Gardepionieren und dem Gardetrain zu suchen sind.

Vom Ministerium aus hat man wiederholt die Thatsache, daß zwischen Adel und Bürgertum im Heere ein Unterschied gemacht wird, in Abrede zu stellen gesucht. Es komme darauf, ob jemand bürgerlich oder adlig sei, im Offizierskorps so wenig an wie darauf, ob er blaue oder braune Augen habe. Aber kein Kriegsminister wird bestreiten können, daß ein bürgerlicher Offizier allenfalls kommandirender General, keinesfalls aber Lieutenant im ersten Garderegiment z. F. werden kann. Die Zahlen der Regimenter, die ausschließlich adlige Offiziere haben, geben den wirklichen Sachverhalt noch nicht ausreichend wieder; denn daneben giebt es noch eine Reihe Regimenter, in denen die Vorherrschaft des Adels durch die Duldung eines vereinzelten bürgerlichen Offiziers, des sogenannten "Konzessions=Schulze", äußerlich verhüllt wird.

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