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1. Anfänge: Krieg und Revolution
Druckfassung

1. Anfänge: Krieg und Revolution   |   2. Politik und Wirtschaft   |   3. Kultur   |   4. Überblick   |   5. Weiterführende Literatur


Die Revolution brachte selbstredend Aufruhr mit sich. In den ersten Novembertagen begann der Strom der heimkehrenden Soldaten, Arbeiter traten in Streik, Menschenmengen versammelten sich zu Demonstrationen, und die Arbeiter- und Soldatenräte trafen sich zu stundenlangen Versammlungen. Während es noch immer keinen Waffenstillstand gab, drohte die Situation außer Kontrolle zu geraten. Inzwischen stand fest, das die USA einem Waffenstillstand nur unter der Bedingung zustimmen würden, dass der Kaiser abdankte. Auch innerhalb Deutschlands forderte die Bevölkerung seine Absetzung. Die Aufgabe, den Kaiser darüber zu informieren, dass er und die gesamte königliche und kaiserliche Familie abdanken müssen würden, fiel dem neu ernannten Generalquartiermeister Wilhelm Groener zu. Max von Baden trat sein Amt an den Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Friedrich Ebert, ab, der eine neue Regierung bestehend aus der Sozialdemokratischen Partei (SPD) und der radikaleren Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) bildete. Eberts Vize Philipp Scheidemann rief vom Balkon des Reichstags die Deutsche Republik aus. Nur wenige hundert Meter entfernt rief Karl Liebknecht, radikaler Sozialist und zukünftiger Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands, vom Balkon des königlichen Palastes eine sozialistische Republik aus. Der Waffenstillstand wurde schließlich mit der neu eingesetzten Regierung am 11. November 1918 unterzeichnet.

Damit begann ein dreiseitiger Machtkampf, der sich inmitten öffentlicher Unruhen und der großangelegten Demobilisierung von Armee und Wirtschaft vollzog. Die neue Regierung, der Rat der Volksbeauftragten, unternahm eine vehemente Demokratisierung des politischen Systems. Doch stellte sich die Frage, ob Deutschland eine parlamentarische Republik werden sollte, wie es die Sozialdemokraten wünschten oder eine Räterepublik, wie sie radikalere Arbeiter und die USPD forderten. Und welche Position würden die alten Eliten einnehmen, die Offiziere, Unternehmer, Großgrundbesitzer und hohen Staatsbeamten, welche das System des Reichs bestimmt hatten? Ebert drängte mit Nachdruck auf baldige Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung, in der Hoffnung, damit die Verfechter einer Räterepublik ins Abseits zu drängen. Ihn motivierte die Angst vor dem Bolschewismus, eine Sorge, die von vielen Deutschen geteilt wurde. Die öffentliche Ordnung musste wiederhergestellt werden. „Keine Experimente“ lautete der Wahlspruch der SPD. Ebert schloss eine Reihe von Vereinbarungen, die im Wesentlichen die Anerkennung der neuen Regierung durch die Eliten sowie Zugeständnisse in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belangen im Gegenzug für das Eintreten der SPD für die Erhaltung des Status, Einflusses und der Privilegien der alten Eliten umfassten. Für die Arbeiter bedeutete dies die Anerkennung der Gewerkschaften sowie die Einführung des 8 Stunden Tages in der Industrie (7 ½ Stunden in den Bergwerken). Das Militär sprach der Regierung seine Unterstützung explizit aus, während Unternehmer und Regierungsbeamte dies implizit taten. Im Gegenzug willigte die Regierung ein, die bestehende Hierarchie innerhalb des Militärs, die Unantastbarkeit des Beamtentums sowie die Eigentumsrechte anzuerkennen. Es war ein Geschäft mit dem Teufel, welches 1918/19 die Republik absicherte, doch da der Einfluss der alten Eliten intakt blieb, trug es ebenso zu ihrer Zerstörung vierzehn Jahre später bei.

Die Jahre 1918/19 brachten einen Triumph für Ebert. Inmitten schwerer Unruhen einschließlich des Spartakusaufstandes im Januar 1919 und des Einsatzes der Armee sowie paramilitärischer Organisationen gegen radikale Arbeiter durch die Regierung wählten die Deutschen eine Verfassungsgebende Versammlung, die sich im Frühjahr 1919 an ihre Aufgabe machte. Die Weimarer Koalition, bestehend aus SPD, der katholischen Zentrumspartei und der liberalen Deutschen Demokratischen Partei, bildete die Regierung. Die Wirtschaft begann sich durch einen von der Inflation angeschobenen Exportboom zu erholen.

Dennoch blieb die Stimmung im Land nervös. In einigen Industrieregionen herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, und niemand wusste genau, welche Bedingungen der Friedensschluss mit sich bringen würde. Die siegreichen Alliierten waren in der Nähe von Paris zusammengetroffen, um die endgültigen Verträge zu entwerfen, welche den Ersten Weltkrieg formal beenden würden. Zu diesem Zeitpunkt unterlagen die Deutschen noch immer der Illusion, mit den Alliierten verhandeln zu können. Als die Vertragsbedingungen schließlich bekannt gemacht wurden, waren die Deutschen einheitlich entsetzt. Die Gebietsverluste waren erheblich, und die Beschränkung der Streitkräfte wurde als unangemessen betrachtet. Die Deutschen empfanden den Verlust ihrer Kolonien als ungerecht; in der Beschlagnahmung ihrer unterseeischen Telegrafenkabel sahen sie einen Beweis der alliierten Rachsucht. Am schwersten wog jedoch die Tatsache, dass sie zum Eingeständnis der alleinigen Kriegsschuld gezwungen wurden, welches die Grundlage für bis dahin unbestimmte Reparationsforderungen darstellte.

Das Land war schockiert, doch hatte es keine Wahl. Am 28. Juni 1919, fünf Jahre nach der Ermordung Erzherzog Franz Ferdinands, unterzeichneten die Vertreter Deutschlands den Friedensvertrag im Spiegelsaal von Versailles, dem selben Ort, an dem 1871 das Deutsche Reich ausgerufen worden war. Sechs Wochen später, am 11. August 1919, trat die Weimarer Verfassung in Kraft. Es war eine beispielhafte liberale Verfassung, welche den Deutschen die demokratischste politische Struktur und die umfangreichsten politischen und bürgerlichen Rechte gab, die sie je besessen hatten. Trotz aller Unruhen der vorangegangenen zwölf Monate herrschte nun Frieden in Deutschland, das Land war intakt und besaß die legale Grundlage für eine funktionierende, liberale politische Ordnung. Die Deutschen hatten unter schwersten Bedingungen das kaiserliche System gestürzt und die politische Macht ergriffen. Zu Beginn des Herbstes 1919 hätte es insofern Anlass zur Erleichterung unter den Deutschen geben sollen. Doch weigerten sich nach wie vor zu viele, die Legitimität der Republik anzuerkennen, und zu viele politische Bewegungen schickten sich an, die verfassungsgestützte Ordnung anzugreifen.

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