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2. Regierung
Druckfassung

1. Augenzeugen und Familien   |   2. Regierung   |   3. Reformation   |   4. Konfessionen


D. Dörfer

Der Lebensunterhalt und Erfolg der ländlichen Bevölkerung deutscher Bauern und Viehzüchter war von gemeinschaftlichen Einrichtungen und Werten abhängig, und die seit langem besiedelten Länder im Süden, der Mitte und dem Westen machten eines der großen Gebiete gemeinschaftlich organisierten landwirtschaftlichen Lebens in Europa aus. Das Recht zur Selbstverwaltung der Dorfbewohner, welches seit dem 13. Jahrhundert anstatt der direkten herrschaftlichen Ausbeutung früherer Zeiten entstanden war, erreichte seine Grenzen vor 1500, als die wirtschaftliche Erholung einige Fürsten dazu veranlasste, neue Arten der Leibeigenschaft einzuführen. In den jüngeren Ländern des Nordostens, in denen die Bauern einst frei gewesen waren, wuchs dieser Druck mit wenig Widerstand und brachte schließlich die sogenannte „zweite Leibeigenschaft“ hervor. War die ländliche Gemeinschaft stark, waren die Beziehungen zwischen Bauern und Lehnsherren von einem Gemisch aus Kampf und Verhandlung abhängig. Dies traf besonders auf von Prälaten verwaltete Ländereien zu. In einigen kleinen Ländern entwickelte sich ein stabiles Maß an Teilhabe der Pächter an der Verwaltung. In anderen Regionen wiederum gaben neue Geldeintreibungen und Arten der Unterwerfung den Anstoß zu einer Kultur schwelenden Unmuts mit gelegentlichen Aufständen. Doch die Reichsreform ließ das dörfliche Leben nicht unberührt. Selbst Dorfbewohner hatten nun das Recht, das Reichskammergericht anzurufen. Solche wenn auch seltenen Fälle korrigieren den Eindruck, dass das gemeinschaftlich organisierte Dorf eine geschlossene Gesellschaft war. Sie geben außerdem Einblick in die Juridifizierung der Bauernbeschwerden in der Folge des Bauernkrieges von 1525.

Es gab Orte, an denen die Übertragung der Selbstverwaltung an die Kommunen gängig war, doch mit Ausnahme bestimmter Schweizer Regionen waren diese Rechte stets auf rein lokale Angelegenheiten beschränkt. Dennoch verfügten die territorialen Dörfer häufig über einige Verwaltungsbefugnisse, wie am Beispiel des bayrischen Dorfes Ingenried zu sehen ist, dessen Gemeindevorsteher über den Lebensunterhalt des Gemeindepfarrers wie des Bademeisters entschieden. Die Routinisierung der Beziehungen zwischen Dorfbewohnern und Herren war dazu geneigt, die Kommunen in den Territorialstaat zu integrieren. Die Werkzeuge der Integration konnten einen gemeinschaftlichen Loyalitätseid einschließen sowie die Reduzierung des Gewohnheitsrechts auf die schriftliche Form, welches es den Dorfbewohnern erlaubte, sich auf das geschriebene Gesetz zu berufen und die Territorialbeamten zwang, ihre Anliegen zu prüfen.

Die verschiedenen Regierungsebenen, die sich in den deutschen Gebieten herausbildeten – Reich, fürstlich-territorial, bürgerlich und ländlich – blieben bis zur Auflösung des Reichs 1803 mehr oder weniger intakt. Die Stärkung der rechtlichen Autorität des Reiches (Juridifizierung) sowie die Möglichkeit der kaiserlichen Beamten, in territorialen und örtlichen Konflikten zu intervenieren mögen in gewissem Maß die Entwicklung der Territorialfürstentümer zu tatsächlichen Staaten europäischen Modells verlangsamt haben, konnten sie auf lange Sicht jedoch nicht verhindern. Andererseits gab es im Reich bis zum 18. Jahrhundert keine absolutistische Herrschaft westlicher Art, und selbst dann nur in einer Handvoll der größten Territorialstaaten. Gemessen an den Standards absolutistischer Herrschaft in Frankreich, England, Spanien, Dänemark und Schweden, blieb das Reich bis zum Ende ein Gebiet gemäßigter und eingeschränkter Regierungsmacht.




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