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Die Januarstreiks, 1918

Die Ereignisse in Russland 1917 signalisierten einen Wendepunkt für die deutsche Linke. Die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) umfassten sowohl die „Zentristen“, die ein sofortiges Ende des Krieges als Auftakt zu politischen Reformen forderten, und die radikale Linke, die sich im „Spartakusbund“ sammelte und für eine politische Revolution als Mittel zur Beendigung des Krieges eintrat. Das spektakulärste Zeichen für die Bedeutung der USPD war der massive Antikriegsstreik, der Ende Januar 1918 begann. Sein Mittelpunkt lag in den Munitions- und Metallfabriken der deutschen Hauptstadt, wo rund 400 000 Arbeiter am Monatsende die Arbeit niederlegten. Innerhalb von Tagen hatte sich der Streik auf andere Industriezentren ausgebreitet, von Kiel und Hamburg bis Mannheim und Augsburg. Die Armee verhaftete viele Streikführer und schickte sie an die Front.

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Berlin, 25. Januar 1918

Am Montag, den 28. Januar, beginnt der Massenstreik!

Arbeiterinnen! Arbeiter!

Auf zum Massenstreik! Auf zum Kampf! Soeben hat das österreichisch-ungarische Proletariat ein mächtiges Wort gesprochen. Fünf Tage lang ruhte die Arbeit in allen Betrieben in Wien, Budapest usw., im ganzen Reiche. In Wien haben die Arbeiter den Straßenbahnverkehr eingestellt, auch der Eisenbahnverkehr wurde zum Teil lahmgelegt, es erschien keine einzige Zeitung. An vielen Orten kam es zu einer offenen Erhebung der Bevölkerung und zum Kampf mit der Regierungsmacht. In Prag und Budapest wurde die Republik proklamiert. In Wien hielten die Arbeiter die Brücken besetzt, um das Eindringen der Polizei in die Arbeiterviertel zu verhindern.

In schlotternder Angst vor der drohenden Revolution war die Zentralregierung gezwungen, den nach Muster der russischen Revolution gewählten Wiener Arbeiterrat anzuerkennen und mit ihm zu verhandeln. Sie beeilte sich, Konzessionen zu machen, um die Bewegung einzudämmen, wobei ihr natürlich die Regierungssozialisten und die Gewerkschaftsführer freiwillig Handlangerdienste leisteten.

Die Aufhebung der Militarisierung der Betriebe, die Aufhebung des Arbeitszwangsgesetzes, die Erfüllung der Arbeiterforderungen in den Ernährungsfragen, gleiches und allgemeines Wahlrecht für Frauen und Männer bei den Gemeindewahlen, Versprechen, bei den Friedensverhandlungen mit Rußland auf alle Annexionsabsichten zu verzichten - dies sind die vorläufigen Zugeständnisse. Die historische Bedeutung des Arbeiteraufstandes in Österreich-Ungarn liegt aber nicht in diesen Zugeständnissen, sondern in der Tatsache der Erhebung selbst. Die Bewegung ist zwar auf halbem Wege stehen geblieben, aber dies ist der erste Schritt, dem andere folgen werden. Die Hilfe der deutschen Arbeiter, unser Massenstreik, wird die Flamme der Revolution der Doppelmonarchie zu neuem, mächtigem Brande entfachen.

Arbeiterinnen und Arbeiter! Was unsere österreichisch-ungarischen Brüder angefangen haben, das müssen wir vollenden!

Die Entscheidung der Friedensfrage liegt bei dem deutschen Proletariat!

Unser Massenstreik soll kein kraftloser „Protest" und kein von vornherein auf eine bestimmte Frist beschränkter hohler Demonstrationsstreik, sondern ein Machtkampf sein. Wir kämpfen so lange, bis unsere Mindestforderungen unverkürzt verwirklicht worden sind: Aufhebung des Belagerungszustandes, der Zensur, aller Beschränkungen der Koalitions-, Streik-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Freilassung aller politisch Inhaftierten - dies sind die Bedingungen, die uns notwendig sind, um unsern Kampf um die Macht, um die Volksrepublik in Deutschland und einen sofortigen allgemeinen Frieden frei zu entfalten.

Jeder Separatfriede führt nur zur Verlängerung und Verschärfung des Völkermordens. Es gilt um jeden Preis den Separatfrieden in einen allgemeinen Frieden zu verwandeln. Dies ist unser Ziel.

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