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Die Reaktion der Parteispitze auf die Opposition (14.-16. August 1915)

In ihrem Bemühen, die Unterstützung für den Krieg in den eigenen Reihen aufzubessern, verabschiedeten die Sozialisten Richtlinien für die Unterdrückung abweichender Meinungen. Die sozialistische Opposition musste sich nicht nur gegen die Parteifunktionäre behaupten, sondern auch gegen die Gewerkschaften, die durch ihre Kriegsanstrengungen im politischen System Fuß gefasst hatten. Unbequeme Herausgeber sozialistischer Zeitungen und örtliche Funktionäre wurden von der Partei zunehmend gemaßregelt.

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Reichstagsfraktion und Parteiausschuß beschäftigten sich in gemeinsamen Sitzungen am 14., 15. und 16. August 1915 mit der Frage der Kriegsziele. Die Abgeordneten David und Bernstein leiteten durch Referate die Besprechung ein. Beide Referenten unterbreiten Leitsätze, die der Besprechung zugrunde gelegt worden sind. In getrennter Abstimmung wurden von den beiden Körperschaften die folgenden Leitsätze zur Friedensfrage beschlossen:

„In Wahrnehmung der nationalen Interessen und Rechte des eigenen Volkes und in Beachtung der Lebensinteressen aller Völker erstrebt die deutsche Sozialdemokratie einen Frieden, der die Gewähr der Dauer in sich trägt und die europäischen Staaten auf den Weg zu einer engeren Rechts-, Wirtschafts- und Kulturgemeinschaft führt. Demgemäß stellen wir folgende Richtpunkte für die Friedensgestaltung auf:

1. Die Sicherung der politischen Unabhängigkeit und Unversehrtheit des Deutschen Reiches heischt die Abweisung aller gegen seinen territorialen Machtbereich gerichteten Eroberungsziele der Gegner. Das trifft auch zu für die Forderung der Wiederangliederung Elsaß-Lothringens an Frankreich, einerlei, in welcher Form sie erstrebt wird.

2. Zwecks Sicherung der wirtschaftlichen Entwickelungsfreiheit des deutschen Volkes fordern wir:

„Offene Tür", d. h. gleiches Recht für wirtschaftliche Betätigung in allen kolonialen Gebieten; Aufnahme der Meistbegünstigungsklausel in die Friedensverträge mit allen kriegführenden Mächten;

Förderung der wirtschaftlichen Annäherung durch möglichste Beseitigung von Zoll- und Verkehrsschranken;

Ausgleichung und Verbesserung der sozialpolitischen Einrichtungen im Sinne der von der Arbeiterinternationale erstrebten Ziele.

Die Freiheit der Meere ist durch internationalen Vertrag sicherzustellen. Zu diesem Zweck ist das Seebeuterecht zu beseitigen und die Internationalisierung der für den Weltverkehr wichtigen Meerengen durchzuführen.

3. Im Interesse der Sicherheit Deutschlands und seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit im Südosten weisen wir alle auf Schwächung und Zertrümmerung Österreich-Ungarns und der Türkei gerichteten Kriegsziele des Vierverbandes zurück.

4. In Erwägung, daß Annexionen volksfremder Gebiete gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker verstoßen und daß überdies durch sie die innere Einheit und Kraft des deutschen Nationalstaates nur geschwächt und seine politischen Beziehungen nach außen dauernd aufs schwerste geschädigt werden, bekämpfen wir die darauf abzielenden Pläne kurzsichtiger Eroberungspolitiker. Vom Standpunkt des deutschen Interesses nicht minder wie von dem der Gerechtigkeit halten wir die Wiederherstellung Belgiens darum für geboten.

5. Die furchtbaren Leiden und Zerstörungen, die dieser Krieg über die Menschheit gebracht hat, haben dem Ideal eines durch internationale Rechtseinrichtungen dauernd gesicherten Weltfriedens die Herzen von neuen Millionen gewonnen. Die Erstrebung dieses Zieles muß als höchstes sittliches Pflichtgebot für alle gelten, die an der Gestaltung des Friedens mitzuarbeiten berufen sind. Wir fordern darum, daß ein ständiger internationaler Schiedsgerichtshof geschaffen werde, dem alle zukünftigen Konflikte zwischen den Völkern zu unterbreiten sind."



Quelle: Beschlüsse von SPD-Reichstagsfraktion und –Parteiausschuß, „Leitsätze zur Friedensfrage“, Sozialdemokratische Partei-Correspondenz10 (11. September 1915).

Abgedruckt in Wolfdieter Bihl, Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1991, S. 134-35.

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