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Tarifverhandlungen nach Vorstellung der Gewerkschaften (März 1918)

Mit der Verabschiedung des Hilfsdienstgesetzes 1916 war es den Gewerkschaften gestattet, sich in den Kriegsindustrien zu organisieren, und zum ersten Mal in der deutschen Geschichte erhielten Tarifverhandlungen Gesetzeskraft. Dieses Dokument führt die gewerkschaftlichen Vorstellungen von Tarifverhandlungen im Jahre 1918 einzeln auf.

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1.

Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden, Fabrikanten und sonstigen Unternehmern und den von ihnen beschäftigten Angestellten und Arbeitern jeglicher Art ist Gegenstand freier Übereinkunft. Sie findet statt durch gewählte Vertreter der Arbeitgeber und solche der Angestellten und Arbeiter, die in gleichartiger Tätigkeit beschäftigt sind. Bereits bestehende, von Organisationen der Arbeitgeber vereinbarte Tarifverträge sind hierbei zu berücksichtigen.

2.

Die so festgesetzten Arbeitsbedingungen haben Rechtsgültigkeit für sämtliche in dem betreffenden Berufe tätigen Angestellten, Arbeiter und Arbeitgeber eines Ortes, eines Bezirkes oder des ganzen Reiches. Jedoch ist die Festsetzung von für die Arbeiter günstigeren Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfalle im besonderen Arbeitsvertrag zulässig.

3.

Zu dieser Festsetzung der Arbeitsbedingungen wählen sämtliche Arbeitgeber, welche Arbeiter einer bestimmten gleichartigen Tätigkeit beschäftigen, und die von ihnen beschäftigten Angestellten und Arbeiter in den einzelnen Orten und Bezirken aus ihrer Mitte im Januar jeden Jahres eine gleiche Zahl von Vertretern. Die Wahl findet nach dem Proportionalsystem statt. Bei Vereinbarungen, die für das ganze Reich gelten sollen, wird der zentrale Vertretungskörper durch die in den Bezirken gewählten Vertreter gebildet. Als Vertreter können auch Sekretäre, sowohl von Arbeitgeber- als auch von Arbeiterorganisationen, welche in dem betreffenden Berufe weder als Arbeitgeber noch als Arbeiter tätig sind, gewählt werden. Die Vertreter wählen einen ersten und einen zweiten Vorsitzenden und für jeden der beiden einen Stellvertreter. Können sie sich über die Wahl des Vorsitzenden nicht einigen, so führt der Gewerberichter des Ortes oder Bezirkes bzw. sein Vertreter den Vorsitz. (Je nach der Gestaltung des Arbeitskammergesetzes könnte in diesem Falle den Arbeitskammern die Wahl des Vorsitzenden übertragen werden.) Die Aufhebung [oder] Abänderung der von den Vertretern getroffenen Vereinbarung ist an eine dreimonatige Kündigungsfrist gebunden.

4.

Können sich die Vertreter der Arbeitgeber und die der Arbeiter über die Bedingungen eines abzuschließenden Arbeitsvertrages nicht einigen oder droht aus irgendeinem anderen Anlaß eine Arbeitseinstellung oder Aussperrung in einem anderen Berufe, so hat ein Einigungsamt den Streit zu entscheiden. Dieses Einigungsamt soll, sofern der Arbeitskammergesetzentwurf ein solches einführen wird, mit diesem identisch sein. Der Anrufung des Einigungsamts ist in jedem Falle Folge zu geben.

5.

Als Vertreter der streitenden Parteien vor dem Einigungsamt kann jede dem Deutschen Reich angehörige Person bestellt werden, welche das 25. Lebensjahr vollendet hat, sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindet und nicht durch gerichtliche Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt ist. Ob die Vertreter für genügend legitimiert zu erachten sind, entscheidet das Einigungsamt nach freiem Ermessen, doch kann kein Vertreter aus dem Grunde zurückgewiesen werden, daß er dem betreffenden Gewerbe nicht selbst angehörte.

6.

Das Einigungsamt hat durch Vernehmung der Vertreter beider Teile die Streitpunkte und die für die Beurteilung derselben in Betracht kommenden Verhältnisse festzustellen. Es ist befugt, zur Aufklärung der letzteren Auskunftspersonen vorzuladen, zu vernehmen und durch die Gerichte eidlich vernehmen zu lassen. Jedem Mitglied des Einigungsamts steht das Recht zu, Fragen an die Vertreter und Auskunftspersonen zu richten.

7.

Nach erfolgter Klarstellung der Verhältnisse ist in gemeinsamer Verhandlung jedem Teile Gelegenheit zu geben, sich über das Vorbringen des anderen Teils sowie über die vorliegenden Aussagen der Auskunftspersonen zu äußern. Demnächst findet ein Einigungsversuch zwischen den streitenden Teilen statt.

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