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Das Scheitern der DDR beim „Überholen ohne Einzuholen” (30. Juli 1970)

Ein konservativer westdeutscher Journalist beschreibt das Scheitern des ostdeutschen Versuchs, die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik durch massive Investitionen in die technologische Erneuerung der Schlüsselindustrien zu überbieten und vergleicht dazu die Produktivität und die Lebenshaltungskosten zwischen Ost und West.

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Die Parole: Überholen, ohne Einzuholen


Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der „DDR“ sind unter anderem auf die Mängel im Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung (NÖS) zurückzuführen. In diesem System fehlen drei wichtige Elemente: der frei regulierende Markt, beweglich reagierende Preise und örtliche Initiative an Stelle zentralistischer Regelungsversuche. Selbst den NÖS-Ideologen stehen diese Nachteile klar vor Augen.


Da man nach den Parteidogmen aber diese Analyse nicht einmal denken darf, um nicht des Ota-Sik-Revisionismus bezichtigt zu werden, macht man es wie eh und je in administrativer Ideologie nach dem Rezept: was die Partei sagt, ist weise und immer richtig, sozusagen Gesetz. So basteln nun die „blauen Ameisen“ der Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft (GPG) „Schöneiche“ aus Eisenabfällen und Folie Minizelte, unter denen sie 85 000 Blumenkohlköpfe züchten wollen.

Als „witterungsbedingt“ werden in der „DDR“-Presse auch die „ernsten Rückstände“ in der Produktion industrieller Konsumgüter bezeichnet. Der Stellvertreter des Ministers für Leichtindustrie, Horst Werner, berichtete dem aufgeschreckten Volkskammerausschuß für Handel und Versorgung, daß die Produktion in 50 Betrieben der Leichtindustrie zeitweilig eingestellt wurde, und bezifferte die Planrückstände auf 195 Millionen Mark. Was es aber mit „Witterung“ zu tun hat, wenn die Konsumgüterbetriebe zwar mit Mengen, aber nicht mit Sortimenten, Qualitäten, Lieferterminen und Verträgen zurechtkommen, blieb offen. Ausschußmitglieder äußerten sich skeptisch über die Konfektions-, Möbel-, Schuh-, Trikotagen- und Strumpfindustrie – ein schlechtes Omen für das, was die mitteldeutschen Käufer demnächst in den Läden erwartet.

Die Flucht nach vorn

Wie schon mehrmals in der Geschichte der „DDR“ versucht die SED-Führung aus der wirtschaftlichen Misere die Flucht nach vorn anzutreten. Als Chruschtschow das Einholen der USA zum Programm erklärte, gab Ulbricht die Losung zum kurzfristigen wirtschaftlichen Einholen der Bundesrepublik heraus. Heute, nachdem der Abstand der Arbeitsproduktivität der „DDR“-Wirtschaft gegenüber der westdeutschen mit 34 (intern zugestanden 25) Prozent konstant geblieben und in wichtigen, Zweigen noch gewachsen ist, kann der SED-Chef seinen Gefolgsleuten nicht wieder die alte Parole vom allmählichen Heranpirschen und Hinterherlaufen servieren. Das neue Zauberwort zur Aufpolierung des Selbstbewußtseins der Funktionärselite und des Staatsvolkes heißt „Überholen, ohne einzuholen“.

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