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Uneingeschränkter U-Boot-Krieg (22. Dezember 1916)

Dieses Dokument des Admirals von Holtzendorff (1853-1919) legt die Kalkulationen hinter der Entscheidung für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg offen. Vor allen Dingen der prekäre Zustand der Weltgetreidemärkte und Großbritanniens Abhängigkeit von Lebensmittelimporten lag der Annahme zugrunde, man könne das Land zu einem Friedensgesuch zwingen. Die deutsche Führung rechnete mit einem Kriegseintritt der USA, kalkulierte jedoch, dass die amerikanischen Hilfeleistungen zu spät kommen würden.

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Ganz geheim.
Berlin, 22. Dezember 1916.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage ein Schreiben über die Notwendigkeit eines baldigen Beginns des uneingeschränkten U-Boot-Krieges ergebenst zu übersenden. Die Niederschrift ist im wesentlichen eine Fortsetzung der auch Euerer Exzellenz mit B. Nr. 22 247 I vom 27. August 1916 übersandten Denkschrift „Die Schiffsraumfrage und die Versorgung Englands im Jahre 1916".

Gestützt auf die eingehenden Ausführungen der Anlage, darf ich Euere Exzellenz bitten, nachstehendem Gedankengange zu folgen, und hoffe, eine volle Übereinstimmung unserer Ansichten darüber zu erzielen, daß es unumgänglich notwendig ist, unser Vorgehen gegen Englands Seeverkehr baldigst bis zur äußersten Möglichkeit zu steigern, um die Gunst der Lage auszunutzen und uns einen schnellen Sieg zu sichern.

I.
Der Krieg verlangt eine Entscheidung vor Herbst 1917, wenn er nicht in allgemeiner Erschöpfung aller Parteien und damit für uns verhängnisvoll enden soll. Von unseren Gegnern sind Italien und Frankreich in ihrem Wirtschaftsgefüge so stark erschüttert, daß sie nur noch durch die Energie und Tatkraft Englands aufrecht erhalten werden. Gelingt es, England das Rückgrat zu brechen, so ist der Krieg sofort zu unseren Gunsten entschieden. Englands Rückgrat ist aber der Schiffsraum, der den großbritannischen Inseln die notwendige Zufuhr für die Erhaltung des Lebens und der Kriegsindustrie bringt und die Zahlungsfähigkeit im Auslande sichert.

II.
Der augenblickliche Stand der in dem schon erwähnten Schreiben vom 27. August ausführlich behandelten Schiffsraumfrage ist in der Anlage nochmals dargelegt. Er ist kurz folgender:

Die Frachten sind auf einer großen Reihe wichtiger Gebiete ins ungeheuerliche, zum Teil auf das Zehnfache und noch darüber hinaus gestiegen. Auch aus zahlreichen anderen Zeugnissen wissen wir mit Bestimmtheit, daß es überall an Frachtraum fehlt.

Die augenblicklich noch vorhandene englische Tonnage wird mit etwa 20 Millionen Brutto-Register-Tonnen zutreffend anzunehmen sein. Von diesen sind mindestens 8,6 Millionen t requiriert für militärische Zwecke und ½ Million in der Küstenschiffahrt beschäftigt, schätzungsweise 1 Million in Reparatur bzw. vorübergehend unbenutzbar; etwa 2 Millionen t müssen im Interesse der Verbündeten fahren, so daß für die englische Versorgung höchstens noch 8 Millionen t englischer Tonnage zur Verfügung stehen. Eine Durchrechnung der Statistik des Seeverkehrs in den englischen Häfen ergibt noch weniger. In den Monaten Juli—September 1916 fuhren darnach nur rund 6¾ Millionen Br.-Reg.-T. englischen Schiffsraumes auf England. Daneben läßt sich der sonstige nach England fahrende Schiffsraum auf 900 000 t feindlicher — nicht englischer — und reichlich 3 Millionen Tonnen neutraler Tonnage berechnen. Insgesamt wird England also von nur noch rund 10¾ Millionen Br.-Reg.-T. versorgt.

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