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Wie Soldaten das Leben im Krieg beschreiben II: Sophus Lange (1914-1915)

Sophus Lange reflektiert über das Soldatwerden. Er schreibt von hehren Erwartungen, die dann unerfüllt blieben, als Monotonie und Erschöpfung langsam den Alltag bestimmten. Die idealisierte Sicht des Krieges vom August 1914 wandelte sich in bittere Enttäuschung um.

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Sophus Lange, stud. phil., Kiel,
geb. 21. September 1893 in Flensburg,
gef. 6. September 1916 bei Estrées.


18. August 1914.
Wie hat man bis jetzt gelebt? Selbst ein Buch von unmittelbarer, eindringlicher Wirkung bereitete erst dann den rechten Genuß, wenn man wußte, daß nicht nur im Zimmer, sondern in der ganzen Wohnung Harmonie herrschte; beim Kaffee blätterte man in Hebbels Tagebüchern, und in an und für sich belanglosen Stunden, wie etwa Privatunterricht, bereicherte man sich durch einen Strauß Rosen, den man vor sich auf den Tisch stellte und stets anschauen konnte.

Das jetzt hereingebrochene „neue Leben“ bezeichnet von all dem das Gegenteil. Und doch fühle ich mich hier nicht unglücklich, nein, sogar riesig glücklich. Das „Zu-den-Fahnen-Strömen“ gerade der Gebildeten beruht sicherlich nicht nur auf der Liebe zum Deutschtum — in all dieser Robustheit und in all diesem Strohsack-Leben ist gründliche Reaktion auf jede Verfeinerung. Man sehnt sich nach dem Bewußtsein, neben tüchtigem Geist und empfänglicher Seele auch Muskeln, Sehnen und Nerven zu besitzen. Man springt hinein in den bunten Rock wie in ein erfrischendes Bad.

So kommt es, daß ich mich ärgere, wenn ich im Schatten und nicht in der heißen Sonne exerzieren muß, wenn man uns den Dienst leicht macht; so kommt es, daß ich mich nach 20 Kilometern sehne, wenn wir 10 Kilometer marschieren. Ich fühle mich ungeheuer wohl in meinem Soldatenkittel. Viel zu meinem Wohlbefinden trägt der Umstand bei, daß von den 600 Mitgliedern unseres Bataillons mindestens 450 Einjährige und davon gegen 300 Studenten sind. Danach richtet sich die Behandlung, die tatsächlich höflich und väterlich zu nennen ist; man verschont uns mit jedem Drill, jeder Pedanterie und jedem Schnauzen.


Schützengraben bei Moulin, 6. Januar 1915.
Jetzt bin ich ganz Soldat. Nur die Geistigkeit laß ich in meinem augenblicklichen Dasein zu, die unmmitelbar mein Muskelleben vertieft und erklärt. Ich kann nicht anders, ich will momentan nur „Soldat“ sein, dies Wort durch meine geistige Tätigkeit von allen Seiten beleuchten und erleuchten und ausleben bis zum letzten Farbton. Danach soll sich auch meine Lektüre richten. Obgleich ich weiß, daß Kant und Goethe und Dürer und Luther, daß all dies viel schöner ist als mein jetziges Leben, obgleich ich mit ungeheuer Freude später dahin zurückkehren werde — sollte es mir vergönnt sein, überhaupt zurückzukehren —, will ich doch von all dem und für sich nichts davon wissen. sondern nur, wenn es in irgendeinem Verhältnis zum „Soldaten“ steht. Schick mir deshalb aus der Reclam-Sammlung „Penthesilea“; denn darin steht die große Glut und der große Brand, der für diese meine Tage nötig ist; darin rennen so viele edle, mutige, schnaubende Pferde über das Gefilde. Schicke mir den „Prinzen von Homburg“; darin ist auch ein Teil meines Lebens verherrlicht: der preußische Drill, die geniale Maschinenmäßigkeit des preußischen „Soldaten“; schick mir den „Wallenstein“; darin ist Grey, Hindenburg, darin sind Marketender und sorglose Soldatengelage, darin sind große Haupt- und Staats-Aktionen; schick überhaupt viel Schiller, Goethe und Shakespeare, aber nicht den Faust und nicht den Hamlet; die kann ich ganz und gar nicht gebrauchen. Ich bin Soldat! Ich suche augenblicklich meinen größten Ruhm nicht darin, geistig originell und tief zu sein, sondern darin, buddeln zu können so lange und so viel wie einer, der sein Leben lang den Spaten in der Hand hatte, und darin, trotz aller Strapazen noch nicht einmal einen Schnupfen zu haben. Augenblicklich freue ich mich am meisten, wenn ich an einem besonders heißen und gefahrvollen Tag nicht bedrückt, sondern von erhöhtem Lebensgefühl und innerem Jubel durchpulst werde. Frisch und sorglos und — kurz, wie Detlev von Liliencron, ziehe ich durch Frankreich, oder vielmehr hocke ich in Frankreich. Das allein ist nämlich mein Schmerz. Ich möchte Reiter sein, nachts hoch zu Roß durch die Gegend patrouillieren, tags in Hast und Eile Meldungen tauschen von Ort zu Ort. Oder es müßte bald vorwärtsgehen: Sturm auf der ganzen Linie, vor an Paris!

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