1. In den ersten Jahren der Einkreisungspolitik nahm England den deutschen Flottenbau noch nicht ernst. Man war überzeugt, daß mit den geringen ausgeworfenen Summen keine erstklassige Flotte gebaut werden könnte. Man hielt unsere Technik für zu unentwickelt, unseren Mangel an organisatorischer Erfahrung für zu groß und war daran gewöhnt, daß schon zahlreiche preußische und deutsche Flottenpläne ein Stück Papier geblieben waren. Mit anderen Augen wurde unser Flottenprogramm zuerst angesehen im Jahr 1904. Damals führte man, mir unerwünscht, Eduard VII. alles, was wir an Schiffen überhaupt besaßen, bei der Kieler Woche vor, und der Kaiser feierte in seinem Trinkspruch „die wiedererstarkende Seegeltung des neugeschaffenen Deutschen Reiches“. König Eduard antwortete kühl und wechselte bei der Besichtigung unserer Schiffe mit dem Ersten Lord der Admiralität Selborne bedeutungsvolle Blicke und Worte, die mir unangenehm auffielen. Es wurde den Engländern unheimlich, daß wir mit geringen Mitteln so viel schufen und eine organische Entwicklung innehielten, deren Planmäßigkeit ihre eigene übertraf. Das geduldige „Stein-auf-Stein-Tragen“ der deutschen Arbeitsweise trat ihnen auch hier als gefährlich entgegen.
Die gegen uns gerichtete Konzentrierung britischer Geschwader, die Lord Fisher darauf folgen ließ, wurde im Februar 1905 unterstrichen durch eine Rede des Zivillords der Admiralität Lee, der ohne jeden greifbaren Anlaß erklärte, die britische Flotte würde gegebenenfalls den ersten Schlag zu führen wissen, noch ehe man auf der anderen Seite der Nordsee Zeit gehabt hätte, die Kriegserklärung in der Zeitung zu lesen. Das Verhalten Englands 1904/05 bewies, daß England damals starke Neigung hatte, mit einem kriegerischen Schlag der ganzen Weltstellung Deutschlands den Garaus zu machen. Die damalige Geneigtheit zum Kriege wird dadurch begreiflich, daß derselbe für England noch gar kein Risiko in sich schloß. Unser in den Anfängen stehendes Flottenunternehmen aber hoffte die Admiralität dadurch zu entwerten, daß sie 1905 zum Bau der Dreadnoughtklasse überging, in der Annahme, daß die deutsche Marine ähnliche Riesenschiffe nicht durch den Nordostseekanal würde schleusen können.
Diese Kette politischer und maritimer Drohungen, denen eine wilde Aufhetzung der öffentlichen Meinung zur Seite ging, erzeugte in weiten Kreisen Deutschlands berechtigtes Befremden. Einerseits lag in den maritimen Maßnahmen Englands zwar die Anerkennung, daß unser Flottenbau ernst genommen würde. Auf der anderen Seite aber war das nun schon fast ein Jahrzehnt währende Verlangen nach unserer politischen Niederbeugung bekannt und der damalige Stand unserer Flotte zu klein, als daß er Maßnahmen, wie die Ansammlung britischer Geschwader in der Nordsee, erklären konnte. Es lag vielmehr klar die Absicht zugrunde, uns bange zu machen und, wenn möglich, unsern Trieb zu weltpolitischer Selbständigkeit im Keim zu ersticken.
Ich wurde infolgedessen in den Jahren 1905/06 von den verschiedensten Seiten bestürmt, eine starke Erhöhung der deutschen Flottenmacht durchzuführen, um uns gegen die britische Kriegsdrohung besser zu rüsten und den Engländern damit politisch eine Lehre zu erteilen. Auch der Kaiser stand stark unter dem Eindruck eines dahinzielenden Werbefeldzuges des Flottenvereins und wünschte von mir, ich sollte im Reichstag fordern, daß das Lebensalter unserer großen Schiffe herabgesetzt würde. Dieses Lebensalter war, und zwar nur infolge eines parlamentarischen Mißverständnisses, im Flottengesetz mit 25 Jahren höher angenommen als bei den fremden Marinen und führte zu einer beträchtlichen Überalterung unserer Schiffe.