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Eine Verfassung für Elsaß-Lothringen (1911)

Die Provinz Elsaß-Lothringen hatte keine eigene Verfassung und unterstand direkt der preußischen Verwaltung. Dies war für die örtliche Bevölkerung unbefriedigend und trug dazu bei, den französischen Groll gegen Deutschland zu schüren, das die Provinz nach dem Sieg im Deutsch-Französischen Krieg annektiert hatte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien das politische Klima günstig, um eine Verfassung für Elsaß-Lothringen durchzusetzen und die Provinz ins Reich zu integrieren. Dieses Memorandum des preußischen Innenministers umreißt Möglichkeiten und Umstände dieser Entwicklung.

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Berlin, 19. Februar 1911

Die Kommission des Reichstags zur Beratung der elsaß-lothringischen Verfassungsreform hat mit einer Mehrheit von 17 Stimmen beschlossen, daß Elsaß-Lothringen einen selbständigen Bundesstaat bilden, und mit 28 Stimmen gegen 4, daß Elsaß-Lothringen im Bundesrat mit 3 Stimmen vertreten sein solle.

Über die staatsrechtliche Ausgestaltung dieses zukünftigen Bundesstaates hat die Kommission bisher beschlossen, daß an seiner Spitze ein Statthalter stehen soll, der auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers auf Lebenszeit ernannt wird und nur durch Bundesratsbeschluß abberufen werden kann. Nach der Tendenz dieses Beschlusses soll zwar der Kaiser als erblicher Vertreter der Gesamtheit der Bundesstaaten formell Träger der Staatsgewalt bleiben, sein Recht aber mit der Ernennung des Statthalters sich erschöpfen. Die Ausübung der gesamten Staatsgewalt einschließlich des Rechts der Gesetzgebung soll nach Anträgen des Zentrums, deren Annahme mit einer Mehrheit von 17 Stimmen (Zentrum 8, Freisinnige und Sozialdemokraten je 4, die Polen je 1 Stimme) sicher ist, dem Statthalter zustehen, für dessen Anordnungen und Verfügungen ein von ihm selbständig ernanntes Ministerium die Verantwortung übernehmen soll, während er selbst von jeder Verantwortung frei bleibt. Der Kaiser würde hiernach jeglichen Einflusses auf die Gestaltung der elsaß-lothringischen Verhältnisse beraubt werden. Der Bundesrat würde nur bei der Ernennung und Abberufung des auf Lebenszeit bestellten Statthalters mitzuwirken haben. Jede mögliche Einwirkung des Reichskanzlers auf die Politik in Elsaß-Lothringen wäre beseitigt. Abgesehen von der Ernennung und Abberufung des mit den weitestgehenden Regentenrechten ausgestatteten Statthalters würde also alle Tätigkeit der Reichsorgane ausgeschaltet werden. Eine derartige Regelung erscheint staatsrechtlich wie politisch in gleicher Weise unannehmbar.

Die Gewährung von Bundesratsstimmen an Elsaß-Lothringen ist im Plenum des Reichstags von den Abgeordneten Vonderscheer, Emmel, Bassermann, Naumann, Preiss, von Hertling, Böhle, Grégoire, Dous und Höffel gefordert worden, und in der Kommission haben sich die Vertreter sämtlicher Parteien einschließlich der Freikonservativen mit alleiniger Ausnahme der Konservativen und der Wirtschaftlichen Vereinigung hierfür ausgesprochen. Es unterliegt hiernach keinem Zweifel, daß der Reichstag die Verfassungsreform ohne die Gewährung von Bundesratsstimmen nicht annehmen wird. Auf der anderen Seite läßt sich nicht verkennen, daß ein völliges Scheitern der Vorlage bei der Entwicklung, die die öffentliche Meinung in Elsaß-Lothringen genommen hat, und bei der Aufmerksamkeit, die das Ausland, insbesondere Frankreich, der Angelegenheit widmet, zu unbequemen politischen Konsequenzen führen könnte.

Preußen ist bereit, um diese Schwierigkeiten zu beheben, Opfer zu bringen, indem es unter der Voraussetzung, daß die Bestimmungen des Entwurfs über die Stellung des Kaisers und des Statthalters unverändert bleiben, folgenden Vorschlag macht:

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