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Germanisierungspolitik: Ansprache Ludwik Jazdzewskis in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses (15. Januar 1901)

Während des Kulturkampfes erklärte Bismarck die in Preußen ansässigen Polen zu „Reichsfeinden“ und verfolgte ein aggressives Assimilations- und Enteignungsprogramm – kurz, eine Politik der Germanisierung. Obwohl Bismarck ein Abkommen mit der katholischen Kirche aushandelte, das 1887 in Kraft trat, hielt die Verfolgung der Polen noch bis ins zwanzigste Jahrhundert an. In dem folgenden Auszug verurteilt Ludwik Jazdzewski, Abgeordneter der polnischen Partei, die Behandlung der Polen durch die preußische Regierung, einschließlich der Maßnahmen der Ansiedlungskommission (gegründet 1886), die Deutschen den Erwerb von Grund und Boden auf polnische Kosten erleichterte.

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Meine Herren, wenn man einer Bevölkerung, welche dem preußischen Staate auf Grund von internationalen Staatsverträgen einverleibt worden ist mit der Zusage, mit dem feierlich abgegebenen königlichen Versprechen, daß ihre Nationalität geschützt und gepflegt werden soll im preußischen Staat, daß ihre Sprache im amtlichen und im Privatleben eine Schonung und einen sicheren Schutz erhalten soll, – wenn man dieser Bevölkerung, die schon unglücklich genug gewesen ist, daß sie ihre staatliche Unabhängigkeit verloren hat, alle diese Versprechen und Zusagen vorenthält und ins Gegenteil verkehrt, so kann man sich nicht wundern, daß diese unsere Bevölkerung, die eine tausendjährige Geschichte und Kultur hinter sich hat, über die geradezu feindlichen Maßnahmen der Regierung unzufrieden, ja geradezu empört ist, und bei ihrem lebhaften Naturell dieser Unzufriedenheit und tiefem Mißbehagen einen entsprechend lebhaften Ausdruck gibt.

Ich will ihnen nur kursorisch eine kurze, lange nicht erschöpfende Zusammenstellung dessen vorlegen, was alles dieser unserer Bevölkerung in den letzten Zeiten widerfahren ist, um sie aufzureizen und zu schädigen. Althergebrachte Namen, die eine tausendjährige Geschichte haben, werden durch die von Landräten, den Regierungen und dem Ministerium vorgeschlagenen und Allerhöchst genehmigten Anträge einfach beseitigt; Familiennamen werden vielfach durch Behörden verfälscht: jede fachmännische Versammlung wird polizeilich überwacht; jede Versammlung unter freiem Himmel wird untersagt: Aufzüge mit Musik werden verboten; polnische Theateraufführungen werden meistens verboten oder verhindert. Was tut nicht alles die Ansiedlungskommission, um die Bevölkerung zu kränken? Die Ansiedlungskommission – das kann der Herr Minister nicht leugnen – ist im Jahre 1886 auf seine eigene Anregung, wie er noch Abgeordneter war, ins Leben gerufen worden; er war es selbst, der zu dieser unglückseligen Maßregel drängte. Und worauf zielt sie hin? Auf das Verdrängen der polnischen Besitzer und Arbeiter von der väterlichen Scholle mit dem Vorbehalt, daß eine Parzelle aus Staatsfonds von den angekauften Gütern an einen Polen, der doch auch ein gleichberechtigter Staatsbürger sein soll wie jeder andere, nie und nimmer verkauft werden darf. Die verschiedenen Ankäufe und Verkäufe dieser Kommission regen tagtäglich die Bevölkerung auf, und nachdem das geschieht, klagt man darüber, daß die Bevölkerung sich beunruhigt fühlt, und daß eine gewisse Agitation im Lande sich zeigt, die solchen Maßnahmen entgegenarbeitet. Man läßt die Polen bei der Vergebung öffentlicher Arbeiten so gut wie niemals zu: es gibt keinen einzigen polnischen Domänenpächter im ganzen preußischen Staat, so wie es keinen einzigen polnischen Verwaltungsbeamten und keinen einzigen polnischen Richter an leitender Stelle gibt. Ja selbst dort, wo die verschiedenen Vertretungen gewisser Korporationen, z. B. die Schulvertretungen, ein Grundstück verpachten wollen an einen Angehörigen ihres Stammes und ihrer Relegion, tritt die Regierung hindernd dem Beschlusse der Schulvorstände entgegen und drängt darauf, daß selbst die eigenen Ländereien katholischer Schulsozietäten nur evangelischen deutschen Besitzern verpachtet werden, um das Erwerbsleben eines Polen zu unterbinden, wie das jüngst bei mir in Schroda geschehen ist.

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