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Max Weber über soziale Bürokratisierung: Auszug aus einer Debattenrede auf der Tagung des Vereins für Sozialpolitik in Wien (1909)

Mit diesen Worten warnt der Soziologe Max Weber (1864-1920) vor der „Bürokratisierung“ der deutschen Gesellschaft. Weber hatte an anderer Stelle bereits ausgeführt, dass moderne Industriegesellschaften einen „eisernen Käfig“ aus Bürokratismus und wirtschaftlichen Verflechtungen errichtet hätten, der jeden Menschen zu umschließen drohe. Als liberaler Denker erkannte Weber die Gefahr, die in der wachsenden organisatorischen Durchdringung der Gesellschaft lag.

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Die technische Überlegenheit des bureaukratischen Mechanismus steht felsenfest, so gut wie die technische Überlegenheit der Arbeitsmaschinen gegenüber der Handarbeit. Aber als der Verein für Sozialpolitik gegründet wurde [1873], war es die Generation, der Herr Geheimrat Wagner angehört, die damals ebenso verschwindend an Zahl war, wie wir anders Denkenden heute es Ihnen gegenüber sind, welche nach anderen als solchen rein technischen Maßstäben rief. Sie, meine Herren, haben damals gegen jene Beifallssalve für die rein technologischen Leistungen der industriellen Mechanisierung, wie sie die Manchesterlehre damals darstellte, zu kämpfen gehabt. Mir scheint, Sie sind heute in Gefahr, sich selbst in eine ebensolche Beifallssalve für das Maschinenwesen auf dem Gebiete der Verwaltung und Politik zu verwandeln. Denn was ist es letztlich anders, was wir von Ihnen gehört haben? Stellen Sie sich die Konsequenz jener umfassenden Bureaukratisierung und Nationalisierung vor, die wir bereits heute im Anzuge sehen. In den Privatbetrieben der Großindustrie sowohl, wie in allen modern organisierten Wirtschaftsbetrieben überhaupt reicht die „Rechenhaftigkeit“, der rationale Kalkül, heute schon bis auf den Boden herunter. Es wird von ihm jeder einzelne Arbeiter zu einem Rädchen in dieser Maschine und innerlich zunehmend darauf abgestimmt, sich als ein solches zu fühlen und sich nur zu fragen, ob er nicht von diesem kleinen Rädchen zu einem größeren werden kann. Nehmen Sie als Spitze die autoritäre Gewalt des Staats oder der Gemeinde in einem monarchischen Staatswesen, dann erinnert das lebhaft an das Aegyptertum der Antike, das von diesem Geist des „Pöstchens“ durchtränkt war von oben bis unten. Es hat nie eine Bureaukratie gegeben, bis heute nicht, die an die ägyptische Bureaukratie herangereicht hätte. Das steht für jeden fest, der ägyptische Verwaltungsgeschichte kennt und es steht ebenfalls felsenfest, daß wir heute unaufhaltsam einer Entwicklung entgegeneilen, die recht genau diesem Vorbilde, nur auf anderer Grundlage, auf technisch verbesserter, rationalisierter, also noch weit stärker mechanisierter Grundlage folgt. Die Frage, die uns beschäftigt, ist nun nicht: Wie kann man an dieser Entwicklung etwas ändern? – Denn das kann man nicht. Sondern: Was folgt aus ihr? Wir erkennen ja sehr gern an, daß oben an der Spitze unseres Beamtentums ehrenhafte und begabte Leute stehen, daß trotz aller Ausnahmen auch solche Leute Chance haben, in der Hierarchie des Beamtentums emporzukommen, ganz ebenso, wie z. B. die Universitäten für sich in Anspruch nehmen, daß trotz aller Ausnahmen sie eine Chance, eine Auslese für die Begabten bilden. Aber so fürchterlich der Gedanke erscheint, daß die Welt einmal etwa von nichts als Professoren voll wäre – wir würden ja in die Wüste entlaufen, wenn so etwas einträte –, noch fürchterlicher ist der Gedanke, daß die Welt mit nichts als jenen Rädchen, also mit lauter Menschen angefüllt sein soll, die an einem kleinen Pöstchen kleben und nach einem etwas größeren Pöstchen streben – ein Zustand, den Sie, wie in den Papyri, so zunehmend im Geiste des heutigen Beamtentums und vor allem seines Nachwuchses, unseren heutigen Studenten, wiederfinden. Diese

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