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Die preußische Armee und die inneren Unruhen (30. April 1907)

Obwohl die Sozialdemokratische Partei (SPD) im Jahre 1890 legalisiert und zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bereits gut im Reichstag vertreten war, verhielt sich der Wilhelminische Staat sehr wachsam und beobachtete kritisch jeden Angriff auf die sozio-ökonomische und politische Ordnung. Gesellschaftliche Organisationen der Arbeiterklasse, von Gesangsgruppen bis zu Turnvereinen, wurden von der Polizei genauestens auf politische Tendenzen überwacht. In dem folgenden Dokument weist ein General seine untergebenen Kommandeure und Stabsoffiziere dazu an, alle Streikversuche und Anzeichen der Rebellion am Arbeitsplatz mit brutaler Gewalt zu bekämpfen. Der Geheimerlass umfasst auch die Zensur der Medien und die sofortige Hinrichtung verdächtiger Anführer und jeglicher Bewaffneter.

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Aus dem geheimen Erlaß des Kommandierenden Generals des VII. Armeekorps Moritz Ferdinand Freiherr von Bissing über das Verhalten der Truppen „bei inneren Unruhen“



Vom großen Generalstab sind auf Grund geschichtlicher Studien die Lehren und Erfahrungen zusammengefaßt worden, welche für das Verhalten des Militärs bei Aufständen und im Straßenkampf von Wichtigkeit sein können.

Ich bringe sie hiermit zur Kenntnis der Kommandeure, einschl. Stabsoffiziere.

Gegenüber Demonstrationen wird im allgemeinen die Polizei ausreichen, um die Ordnung aufrechtzuhalten. Lediglich zur Verstärkung der Polizei darf Militär nicht verwendet werden. Über das Verhältnis des Militärs zur Polizei, falls ersteres zum Beistand einer Zivilbehörde herangezogen wird, läßt die Vorschrift über den Waffengebrauch des Militärs (11, 2) keinen Zweifel.

Wird bei solchen Gelegenheiten das Einschreiten mit der Waffe nötig, so muß die durch das Gesetz verlangte dreimalige Aufforderung so deutlich erfolgen, daß auch weiter entfernt stehende Personen sie verstehen können, und es muß dabei darüber kein Zweifel gelassen werden, daß auch schon beim Beharren im passiven Widerstand die unbedingte Folge das Eingreifen mit der Waffe ist.

Tritt dann die Notwendigkeit des Gebrauchs der Schußwaffe ein, so ist es auch einer anscheinend unbewaffneten Menge gegenüber unangebracht, erst den Hochanschlag anzuwenden. Es ist vielmehr besser, frühzeitig den aufrührerischen Elementen den festen Willen zu zeigen, alle revolutionären Gelüste im Keim zu ersticken.

Bei einem wirklichen Aufstand wird damit gerechnet werden müssen, daß die Aufständischen gut organisiert sind; die überall bestehenden sozialdemokratischen Genossenschaften, Gewerkschaften pp. sind dazu gewissermaßen schon eine Vorbereitung. [ . . . ]

Sobald die Polizei der Bewegung der Massen nicht mehr Herr werden kann und diese den Organen der Sicherheit und Ordnung gegenüber eine drohende Haltung annehmen, ist der Augenblick gekommen, über den rebellierenden Bezirk den Belagerungszustand zu verhängen (Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. 6. 1851).

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