GHDI logo


Hans Rosenhagen, „Die nationale Kunst in Berlin” (1897)

Die Vertreter eines akademischen Kunstverständnisses im Sinne des preußischen Hofmalers Anton von Werner (1843-1915) verweigerten sich einer Öffnung gegenüber modernen Strömungen in der Malerei. Sowohl Wilhelm II. als auch Werner lehnten den sozialen Realismus ab, welcher sich der Darstellung der Unterdrückten zuwandte. Die gleiche Zurückweisung erfuhr der neue impressionistische Stil, der durch seine pointilistische Technik individueller Pinselstriche akademische Maltechniken zur Auflösung brachte. Um die Jahrhundertwende provozierte die von offizieller Seite – also meist vom Kaiser selbst – geförderte Kunst zunehmend Spott und Missachtung. Hier verurteilt der Kritiker Hans Rosenhagen die akademischen Vertreter und deren Zögern, sich mit neuen künstlerischen Gestaltungsformen auseinanderzusetzen. Diese ablehnende Haltung der etablierten Kunstszene kam in einer von Werner 1897 initiierten Ausstellung deutlich zum Ausdruck.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 2


Seit vielen Jahren gilt Herr von Werner als der Prototyp eines Künstlers, dessen Selbstbewußtsein in umgekehrtem Verhältnis zum Werte seiner Leistungen steht und der deshalb leicht lächerlich werden kann und um so lächerlicher wird, je mehr er sich in die Brust wirft. Solche Künstler gibt es überall, und sie tragen in der Regel zur Erheiterung ihrer Kollegen bei, ohne sonst Schaden zu stiften. Zu diesen harmlosen Gerngroßen gehört nun aber Herr von Werner nicht, schon darum nicht, weil er sich in einer Stellung befindet, die ihm und seinen Taten eine gewisse Folie gibt. Für die Leute, die der Sache ferner stehen und die berechtigte Erwartung haben, daß ein Akademiedirektor selbst ein hervorragender Künstler und eine Autorität in Kunstdingen ist, bleibt Herr von Werner in allen Fällen, auch da, wo er irrt, kompetent, und deshalb ist er eine große Gefahr für das Berliner Kunstleben. Solange Herr von Werner, der die moderne Kunst haßt wie Luzifer die Gottheit, von der [er] ein Teil ist, nur seine Schüler mit seinen verworrenen Ansichten über die moderne Kunst langweilte, war es nicht nötig, sich ernsthaft mit ihm zu beschäftigen. Seine Schüler rächten sich schon selbst an ihm, teils dadurch, daß sie eine noch traurigere Kunst produzierten als er, teils wieder dadurch, daß sie aus Opposition ins Lager der Modernen gingen und so extravagant in allen Äußerlichkeiten wurden, daß sie auch den in der Akademie zurückgebliebenen Nachwuchs zu allerlei künstlerischen Unarten verführten. Daß er selbst mit seinen Philippiken gegen die moderne Kunst die jungen Leute reizte, sich ihr zu nähern, kam Herrn von Werner nie in den Sinn. Jetzt fühlt er aber das Bedürfnis, einen größeren Kreis, das ganze liebe Publikum, mit seinen Ansichten bekannt zu machen und in die Herzen der Ahnungslosesten Sturm gegen die moderne Kunst zu säen, und da ist es denn wohl Zeit, seine Motive, Irrtümer und Kampfesart einer näheren Betrachtung zu unterziehen – aber nicht, um in ihm die Illusionen über seine Wichtigkeit zu stärken, sondern um nachzuweisen, ein wie gedankenloses Publikum er voraussetzt und mit wie plumpen Mitteln er auf dessen Meinung zu wirken sucht. [ . . . ]

Herr von Werner pflegt das Lehrjahr der Akademie, das mit einer Preisverteilung an die befähigtsten Schüler endet, durch eine Rede zu beschließen. Bei dieser Gelegenheit macht er sich schon seit mehreren Jahren das Vergnügen, auf die moderne Kunst zu schelten und die Schüler vor ihr zu warnen. Er hat mit diesen Reden der Presse schon öfter Veranlassung gegeben, sich über ihn lustig zu machen, aber noch niemals bot er ihr so guten Grund dazu wie mit der Rede, die er im Juli dieses Jahres hielt und zur Belehrung der »weitesten Kreise« in der Vossischen Zeitung veröffentlichen ließ. Man glaubte ja dem Akademiedirektor auf seine Bilder hin, daß er nichts von moderner Kunst versteht; jetzt aber hat er selbst unzweideutig bewiesen, daß er überhaupt nichts von ihr weiß. Er bemüht sich in seiner Rede, festzustellen, daß auf keinem Gebiete der Malerei von den Modernen etwas geleistet worden sei, was würdig wäre, neben den Werken der klassischen Alten genannt zu werden. Er verschweigt, um nur ein paar Namen herauszugreifen, die Existenz von Lenbach und Whistler, auf dem Gebiete der Landschaftmalerei kennt er keinen Böcklin, keinen Dill, keinen Schönleber, auf dem der Tiermalerei keinen Baisch, keinen Zügel. Von der Bedeutung des Impressionismus, wie er durch Manet, Degas und Monet

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite