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Wilhelm II., „Die wahre Kunst” (1901)

Diese Rede über „wahre Kunst“ offenbart den gesellschaftlichen und kulturellen Konservatismus Wilhelms II. (1859-1941). Als deutscher Kaiser und Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zögerte Wilhelm nie, seiner Meinung Gehör zu verschaffen. Zur Einweihung des letzten Denkmals der Siegesallee 1901 in Berlin, einer Statuenfolge zu Ehren der Hohenzollern, gab ihm die Gelegenheit, sich kritisch zu neuen Strömungen in der Kunst zu äußern. Kunst unterlag in den Augen des Kaisers einem natürlichen „Gesetz“, das einem aus Antike und Renaissance hervorgegangenen unveränderlichen Schönheitsbegriff gehorchte. Im Einklang mit den Empfindungen seiner Zeit, betrachtete Wilhelm II. die Kunst als ein erbauliches und erzieherisches Mittel, dessen Nutzen darin bestand, die Gesellschaft vorteilhaft zu verändern. Wilhelms missbilligende Haltung gegenüber neuen künstlerischen Ausdrucksformen wie dem französischen Impressionismus und dem sozialen Realismus bezeugt seine Vorliebe für Kunstrichtungen, die sich weniger dem Experimentellen als der Bewahrung von Traditionen verschrieben hatten – wobei sich hinter dieser Einstellung wohlgemerkt ein spezifisches Verständnis von Tradition verbarg.

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[ . . . ] mit Stolz und Freude erfüllt Mich am heutigen Tage der Gedanke, daß Berlin vor der ganzen Welt dasteht mit einer Künstlerschaft, die so Großartiges auszuführen vermag. Es zeigt das, daß die Berliner Bildhauerschule auf einer Höhe steht, wie sie wohl kaum je in der Renaissancezeit schöner hätte sein können. Und Ich denke, jeder von Ihnen wird neidlos zugestehen, daß das werktätige Beispiel von Reinhold Begas und seine Auffassung, beruhend auf der Kenntnis der Antike, vielen von Ihnen ein Führer in der Lösung der großen Aufgabe gewesen ist.

Auch hier könnte man eine Parallele ziehen zwischen den großen Kunstleistungen des Mittelalters und der Italiener, daß der Landesherr und kunstliebende Fürst, der den Künstlern die Aufgaben darbietet, zugleich die Meister gefunden hat, an die sich eine Menge junger Leute angeschlossen haben, so daß sich eine bestimmte Schule daraus entwickelte, die Vortreffliches zu leisten vermochte.

Nun, meine Herren, am heutigen Tage ist auch zu gleicher Zeit in Berlin das Pergamon-Museum eröffnet worden. Auch das betrachte Ich als einen sehr wichtigen Abschnitt unserer Kunstgeschichte und als gutes Omen und glückliches Zusammentreffen. Was in diesen Räumen dem staunenden Beobachter dargeboten wird, das ist eine solche Fülle von Schönheit, wie man sie sich gar nicht herrlicher vereint vorstellen kann.

Wie ist es mit der Kunst überhaupt in der Welt? Sie nimmt ihre Vorbilder, schöpft aus den großen Quellen der Mutter Natur, und diese, die Natur, trotz ihrer großen, scheinbar ungebundenen, grenzenlosen Freiheit, bewegt sich doch nach den ewigen Gesetzen, die der Schöpfer sich selbst gesetzt hat, und die nie ohne Gefahr für die Entwicklung der Welt überschritten oder durchbrochen werden können.

Ebenso ist's in der Kunst; und beim Anblick der herrlichen Überreste aus der alten klassischen Zeit überkommt einen auch wieder dasselbe Gefühl; hier herrscht auch ein ewiges, sich gleich bleibendes Gesetz; das Gesetz der Schönheit und Harmonie, der Ästhetik. Dieses Gesetz ist durch die Alten in einer so überraschenden und überwältigenden Weise, in einer so vollendeten Form zum Ausdruck gebracht worden, daß wir in allen modernen Empfindungen und allem unseren Können stolz darauf sind, wenn gesagt wird bei einer besonders guten Leistung: »Das ist beinahe so gut, wie es vor 1900 Jahren gemacht worden ist.«

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