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Ein Skeptiker betrachtet die Hexenverfolgung eingehender – Friedrich von Spee (1631)

Die frühneuzeitliche Vorstellung von Hexerei – Schaden, der durch übernatürliche Mächte von einer Person im Bündnis mit dem Teufel begangen wird – war zu keiner Zeit völlig unangefochten. Johan Wier (auch: Johann oder Johannes Weyer) (1515-88), ein Arzt aus Brabant in den Niederlanden, war einer der ersten, der eine kritische Abhandlung über die strafrechtlichen Verfolgungen und Hinrichtungen wegen des Verbrechens der Hexerei veröffentlichte. Er argumentierte, dass Dämonen zwar existierten und der Teufel tatsächlich Trugbilder zur Irreführung von Menschen schaffen könnten, dieser jedoch nicht in der Lage sei, sie zur Schädigung ihrer Nächsten zu veranlassen. Er plädierte für eine nachsichtige Behandlung von Personen, die der Hexerei beschuldigt waren.

Nahezu 70 Jahre später veröffentlichte 1631 der deutsche Jesuit Friedrich von Spee (1591-1635) anonym seine Schrift Cautio Criminalis. Seine scharfe Kritik an der Praxis der Hexenverfolgung basierte nicht auf einer Betrachtung der Teufelsmacht (wie bei Wier), sondern auf seiner Beurteilung, dass die damaligen Gerichtsverfahren es jedem der Hexerei Beschuldigten unmöglich machten, einen fairen Prozess zu bekommen. Dies traf besonders in den deutschen Territorien zu, in denen nach Spees Dafürhalten der Missbrauch gerichtlicher Folter und widernatürliche Verfahren die Verurteilung der Beschuldigten praktisch garantierten. Nach der üblichen Praxis war entweder ein Schuldeingeständnis oder die Leugnung der Schuld ausreichend für die Verurteilung in Hexenprozessen. Er stellte außerdem fest, dass in den deutschen Territorien die Strafverfolgung und Tötung von beschuldigten Hexen praktisch ungehindert ablief, während andere Länder (er nennt Spanien und Italien) sich dem nicht anschlossen.

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(A) Die Glaubwürdigkeit von Hexendenuntiationen und die Anwendung von Folter.


49. FRAGE
Welches die Argumente derer sind, die meinen, man müsse den Denunziationen der Hexen Glauben schenken, und behaupten, sie seien ausreichend, die Denunzierten daraufhin zu foltern?

Es werden da viele Argumente vorgebracht, aber sie sind alle nicht stichhaltig. Wir werden sie der Reihe nach aufzählen und widerlegen.

I. Argument. Der Richter ist verpflichtet, die angeklagten Zauberer und Hexen nach anderen Schuldigen auszufragen, und sie sind verpflichtet, über andere auszusagen. Folglich muß man ihnen glauben und ihren Denunziationen vertrauen. Beweis: Wenn man ihnen keinen Glauben schenken dürfte, dann wäre es zwecklos, den Richter zur Frage und die Angeklagten zur Aussage zu verpflichten. (Binsfeld S. 248.)

Ich entgegne I: Wir, die wir der Ansicht sind, man dürfe den Denunziationen keinen Glauben beimessen, bestreiten infolgedessen auch, daß der Richter verpflichtet sei, sich um solche Denunziationen zu kümmern und einen Angeklagten danach zu fragen.

Ich entgegne II: Gesetzt auch, wir wollten zugeben, der Richter sei verpflichtet, den angeklagten Zauberer nach Mitschuldigen zu fragen, — so folgt daraus doch noch nicht, daß man ihm (wie jene wollen) alsbald zu glauben hat, wenn er sagt, er habe auf dem Hexensabbat Mittäter gesehen, oder dergleichen, was anderweit nicht zu beweisen ist. Denn die Verpflichtung des Richters zur Frage würde dann nur darum bestehen, weil ja einzelne Angeklagte weitere Aussagen mit Angabe von Einzelheiten und Beweisen machen könnten, die durchaus dartun, daß diese oder jene Denunzianten hier im Augenblick gerade nicht lügen — und wer bezweifelt, daß das zuweilen einmal vorkommen kann? Der Richter mag also fragen, ich kann das nicht verbieten. Glauben soll er aber nur, wenn solche Beweise beigebracht werden, die es völlig dartun, daß die Denunziantin die Wahrheit spricht. Aussagen über den Hexensabbat jedoch, daß jemand dort gesehen worden sei usw., soll er aus den oben erwähnten Gründen keinen Glauben schenken. Ich habe oben auch — um das bei der Gelegenheit hier noch einzuflechten — aus der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. gelehrt, man dürfe den auf der Folter abgelegten Geständnissen nur dann glauben, wenn Dinge ausgesagt werden, die „keyn vnschuldiger also sagen vnnd wissen kundt“. Warum, so frage ich, nimmt heute niemand Einblick in die Protokolle und prüft nach, ob nicht alles, was dort von der Mehrzahl der Angeklagten ausgesagt worden ist, auch von Unschuldigen gesagt werden könnte? Und was zögern die Fürsten, strenge gegen diese Richter einzuschreiten, die ihren Kopf verwirkt haben, da sie in einem Prozeß, bei dem es um Tod und Leben geht, entgegen der ausdrücklichen Vorschrift der kaiserlichen peinlichen Gerichtsordnung so leichtfertig geglaubt haben?

II. Argument. Nach dem Urteil aller, Theologen wie Canonisten und Legisten, ist es anerkannt, daß ein Angeklagter, der sich schuldig bekannt hat, nicht über anderer Personen Schuld vernommen werden darf, und wenn es doch geschieht, so darf nach den Bestimmungen des Gesetzes daraufhin kein Prozeßverfahren eingeleitet und ihm nicht geglaubt werden. Gleichwohl schließt diese Regel nicht aus, daß bei den Verbrechen, die man Sonderverbrechen heißt, eine Ausnahme gemacht wird; bei ihnen muß nach Mittätern gefragt und den Angeklagten geglaubt werden. Folglich schaffen ihre Geständnisse Glauben, sonst gäbe es gar keinen Unterschied zwischen Sonderverbrechen und gewöhnlichen Verbrechen. (Binsfeld S. 252.)

Ich entgegne I: Es ist nicht richtig, daß es andernfalls keinen Unterschied zwischen Sonderverbrechen und gewöhnlichen Verbrechen geben würde. Der Unterschied zwischen beiden ist nämlich der, daß es bei Sonderverbrechen nicht erforderlich ist, unter allen Umständen das vom Gesetz für andere Verbrechen vorgeschriebene Prozeßverfahren zu beobachten. Daß man aber Teilnehmern einer Tat, die ihrem innersten Wesen nach lügenhaft sind, nicht glauben darf, sofern nicht andere Umstände und Beweismittel überzeugend dartun, sie lügen nicht, das ist nicht bloß von der Rechtsordnung vorgeschrieben sondern von der Natur, deren Gesetz keine Ausnahme zuläßt.

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