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Durchführungsverordnung über die Bildung und das Verfahren der Betreuungsstellen für Verfolgte in Hessen (1948)

Bis April 1949 werden Wiedergutmachungsleistungen in den Westzonen noch aufgrund uneinheitlicher Länderregelungen gewährt. Die Richtlinien des hessischen Innenministeriums vom Mai 1948 machen deutlich, dass die Betreuung von NS-Opfern dabei bürokratisch gehandhabt wird. Zwischen verschiedenen Opfergruppen wird sorgfältig unterschieden, und die Verfolgten müssen gegenüber den Behörden im Einzelnen den Grund ihrer Verfolgung sowie persönliches Wohlverhalten in der Haft oder in der Emigration nachweisen. Dies ist nicht immer ohne weiteres möglich und für die Betroffenen zudem mit dem schmerzhaften Prozess einer möglichst detaillierten Erinnerung an das Leben im Konzentrationslager verbunden. Erst wenn sie diese Hürden überwunden haben, erhalten sie einen speziellen Betreuungsausweis und finanzielle Leistungen.

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Das Hessische Staatsministerium des Innern, Abt. IX, Wiedergutmachung
Durchführungsverordnung über die Bildung und das Verfahren der Betreuungsstellen für Verfolgte in Hessen

Wiesbaden, 13. Mai 1948


Zur Durchführung der Verordnung über die Bildung und das Verfahren der Betreuungsstellen in Hessen (GVBl. 1946, S. 227) werden folgende Richtlinien erlassen.

I. Allgemeine Voraussetzung der Betreuung.

1.) Voraussetzung für die Aufnahme in den Betreutenkreis ist das einwandfreie Verhalten der Antragsteller allgemein, insbesondere in Strafanstalten, Lagern und – soweit es sich um Emigranten handelt – im Ausland.

2.) Als unter dem nationalsozialistischen Regime verfolgt gelten insbesondere Personen, die aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen während einer längeren Dauer, in der Regel etwa 6 Monate und mehr, ihrer Freiheit beraubt (inhaftiert) waren. Personen, die in anderer Art erheblich in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt wurden, können in den Betreutenkreis aufgenommen werden.

3.) Jeder Antragsteller muß seinen Anspruch auf Aufnahme in die Betreuung durch Urkunden oder durch mindestens drei einwandfreie Zeugen glaubhaft machen. Soweit Antragsteller als unter die „Nürnberger Gesetze“ fallend anzusehen sind, haben sie die Art ihrer Verfolgung glaubhaft nachzuweisen.

4.) Personen, die unter Anwendung der vorstehenden Richtlinien in den Kreis der Betreuten aufgenommen werden, erhalten einen Ausweis. Der Ausweis soll neben den Personalien des Inhabers die Art und das Maß der Verfolgung enthalten.

5.) Von der Betreuung sind Personen auszuschließen, die durch falsche Angaben ihre Aufnahme erschlichen haben oder durch ihr Verhalten das Ansehen des Betreutenkreises gefährden. Nach erfolgtem Ausschluß ist der Ausweis einzuziehen.

II. Richtlinien.

A. Als politisch verfolgt gelten:

1.) Personen, die zwischen dem 30. Januar 1933 und dem Zusammenbruch der Naziherrschaft wegen Vorbereitung oder Ausführung einer hochverräterischen Handlung zur Beseitigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt wurden. Gleichgültig ist, ob sie im Auftrag anderer oder aus eignen Beweggründen gehandelt haben.

2.) Personen, die wegen eines unter der Naziherrschaft begangenen oder versuchten Landesverrates verfolgt wurden, wenn ihre Tat die Beseitigung des nationalsozialistischen Systems zum Ziele hatte.

3.) Personen, die wegen Rundfunkverbrechens im Kriege verfolgt wurden. Das bloße Abhören ausländischer Sender genügt jedoch nicht, Voraussetzung ist vielmehr, dass diese Personen durch Abhören der ausländischen Sender und Weiterverbreitung der gehörten Sendungen an bestimmte Personen die Naziherrschaft erschüttern oder ihre Folgen abwehren wollten.

4.) Personen, die wegen Zersetzung der Wehrkraft verfolgt wurden. Voraussetzung hierbei ist, dass die Wehrkraftzersetzung als Merkmal grundsätzlicher Gegnerschaft zum Nationalsozialismus anzusehen und ihre Wirkung auf Dritte abgestellt war.

5.) Die Verfolgten des 20. Juli 1944, sofern sie nicht die Ersetzung der Naziherrschaft lediglich durch ein militärisch-reaktionäres Regime beabsichtigten.

6.) Emigranten, die wegen ihrer Verfolgung durch den Nationalsozialismus oder ihrer begründeten Gegnerschaft gegen die Naziherrschaft Deutschland verließen und nachweisbar im Ausland eine nazifeindliche Haltung eingenommen haben.

7.) Personen, die zwischen dem 30. Januar 1933 und dem Zusammenbruch der Naziherrschaft durch nationalsozialistische Verfolgung zum gesetzwidrigen Aufenthalt in Deutschland gezwungen wurden. Dabei muß der Nachweis geführt werden, dass sie weder an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort polizeilich gemeldet waren, noch während des Krieges Lebensmittelkarten bezogen.

8.) Personen, die wegen ihrer bewiesenen antinationalsozialistischen Gesinnung oder Tätigkeit erheblich verfolgt wurden.

9.) Personen, die aus rassischen oder politischen Gründen sterilisiert wurden.

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