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Besetzung eines Berliner Mietshauses (1981)

Die Hausbesetzerbewegung, die in den späten 1970er Jahren entstand, hatte sowohl politische als auch persönliche Motive. Einerseits zog die Bewegung jene an, die gegen das Fehlen erschwinglicher Wohnungen und die negativen Auswirkungen der Sanierungen in der Nachkriegszeit protestieren wollten. Auf der anderen Seite zog sie allerdings auch Jugendliche an, die sowohl der Vormundschaft ihrer Eltern als auch der Verpflichtung, Miete zu zahlen, entkommen wollten. Für einige Mitglieder dieser Subkultur stellte die Besetzung leerstehender Mietshäuser einen Weg dar, um eine Sphäre jugendlicher Freiheit zu schaffen. Sie wurde außerdem zur Ursache ständiger Konflikte mit Hausbesitzern und der Polizei, die auf der Beachtung des privaten Eigentumsrechts bestanden.

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Von Haus zu Haus – Berliner Bewegungsstudien


Nach allem, was ich gehört habe, war unsere Besetzung noch eine der geplanteren. Diese Planung bestand im wesentlichen darin, das Haus «auszuchecken»: vom Besitzer über den Stand der Planung bis hin zu Einstiegsmöglichkeiten.

Wir trafen uns in wechselnder Zusammensetzung dreimal zwecks Kennenlernen und Vorbereitung. Einige sprangen wieder ab, andere brachten Freunde mit. Jeder von uns dachte sich wohl mindestens einmal, daß das ganze doch nur ein netter Traum bleiben würde. Wer nun wirklich einziehen oder wer sich lieber auf den Status des «Unterstützers» zurückziehen würde, war zum Zeitpunkt der Besetzung ebenso unklar wie unsere Vorstellung davon, was mit dem Haus auf Dauer passieren sollte.

Aber dann sind wir eines Morgens um halb sieben einfach reingegangen. Organisiert war das allernötigste Werkzeug, Taschenlampen, Öfen samt Rohren, Flugblätter, ein großes Frühstück, Transparente und zwei Schlösser zum Auswechseln.

Wenn ein neues Schloß in der Tür ist und die Transparente aus den Fenstern flattern, gilt das Haus als besetzt. Das ist wichtig. Denn die Polizei hat Anweisung, Neubesetzungen möglichst zu verhindern, von besetzten Häusern dagegen die Finger zu lassen.

Es ist kalt und dunkel. Wir sind aufgeregt: Werden die Bullen uns gleich wieder rausschmeißen? Mit Taschenlampen leuchten wir in leere Zimmer, Gerümpel liegt herum. Wir fangen an, die am besten erhaltene Wohnung aufzuräumen. Um 11 Uhr soll eine Pressekonferenz abgehalten werden.

Die Leute auf der Straße gehen zur Arbeit. Wir feiern die Besetzung mit Mohrenköpfen und Sekt, die wir ihnen zu den Flugblättern anbieten. «Schon wieder eens?» Es ist bereits das fünfzigste besetzte Haus. «Na, uff eene Art habta ja recht, wa. Prost denn!» Auf regelrechte Ablehnung stoßen wir selten. «Bloß keene Steine, Jungs, denn find ick det ooch in Ordnung.» – «Ich hab ja schon fast drauf gewartet», sagt ein Mann aus der Nachbarschaft, «is'n schönet Häuschen, wa.» Die Flugblätter sind innerhalb von zwei Stunden weg, der Sekt noch schneller. Wir laden Öfen und Baumaterialien ab. Auf der Pressekonferenz ist von der schamlosen Spekulation, von Wohnungsnot und Verantwortungslosigkeit die Rede. Die Journalisten müssen das schon bald auswendig können mit den 80000 Wohnungssuchenden und 10000 leerstehenden Wohnungen. Sie suchen nach etwas Besonderem. Wie wär's denn mit dem einen Transparent – «Hausbesetzen ist geil!» steht drauf. Was soll'n det?

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