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Otto Meissner, Staatssekretär im Büro des Reichspräsidenten, über die Geschehnisse, die zu Hitlers Ernennung führten (rückblickende Aussage, 28. November 1945)

Im Laufe des Januars 1933 engte sich der politische Spielraum für Reichskanzler Kurt von Schleicher zunehmend ein. Seine Querfrontkonzeption – also der Versuch, arbeiterfreundliche Nationalsozialisten um Gregor Strasser zusammen mit den Gewerkschaften in eine quer zu den politischen Richtungen stehende Front unter seiner Führung einzubeziehen – war im Grunde schon mit dem Rücktritt Strassers von allen Parteiämtern am 8. Dezember 1932 gescheitert. Daneben verlor Schleicher auch noch den Rückhalt bei Reichspräsident Hindenburg, was v.a. mit den Beschwerden des nationalsozialistisch unterwanderten Reichslandbundes über die Agrarpolitik des Reichskanzlers und dem Osthilfeskandal um Zweckentfremdung von Subventionen durch ostelbische Junker zusammenhing. Franz von Papen verhandelte derweil im Januar 1933 mehrmals mit den Nationalsozialisten über eine Regierungsbeteiligung unter seiner Führung, worüber Papen ab dem 9. Januar 1933 auch den Reichpräsidenten informierte. Letztlich waren Papen und die übrige Kamarilla um Hindenburg – v.a. sein Sohn Oskar und Staatsekretär Otto Meißner – mit Unterstützung einiger Bankiers und Industrieller dazu bereit, Hitler als Reichskanzler in einem überwiegend konservativ besetzten Kabinett zu akzeptieren.

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Papen wurde entlassen, weil er die Nationalsozialisten bekämpfen wollte und in der Reichswehr nicht die Unterstützung für eine solche Politik fand, und [ . . . ] Schleicher kam an die Macht weil er glaubte, er könne eine Regierung bilden, welche die Unterstützung der Nationalsozialisten hätte. Als deutlich wurde, dass Hitler nicht bereit war, in Schleichers Kabinett einzutreten und dass Schleicher wiederum nicht in der Lage war, die NSDAP zu spalten, wie er es sich mit Hilfe Gregor Strassers erhofft hatte, war die Politik, zu deren Zweck Schleicher zum Kanzler ernannt worden war, gestrandet. Schleicher war bewusst, dass Hitler wegen seines Versuchs, die Partei zu spalten, gegen ihn besonders verbittert war und daher niemals einer Kooperation mit ihm zustimmen würde. Also änderte er jetzt seine Meinung und beschloss, gegen die Nazis zu kämpfen – was bedeutete, dass er nun eine Politik verfolgen wollte, gegen die er scharf opponiert hatte, als Papen sie wenige Wochen zuvor vorschlug. Schleicher kam deshalb mit der Forderung nach einer Notverordnung als Voraussetzung für ein Vorgehen gegen die Nazis zu Hindenburg. Außerdem hielt er es für notwendig, den Reichstag aufzulösen und sogar vorübergehend auszuschalten, und dieses sollte durch Präsidialverordnungen auf der Grundlage von Artikel 48 geschehen – die Umwandlung seiner Regierung in eine Militärdiktatur, und die allgemeine Regierung auf der Grundlage von Artikel 48.

Schleicher machte diese Vorschläge gegenüber Hindenburg zuerst Mitte Januar 1933, doch Hindenburg lies sofort große Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit erkennen. In der Zwischenzeit war Papen nach Berlin zurückgekehrt und hatte durch Vermittlung von Hindenburgs Sohn mehrere Unterredungen mit dem Präsidenten gehabt. Als Schleicher erneut Notverordnungen forderte, erklärte Hindenburg, dass er nicht in der Lage sei, ihm einen solchen Blankoscheck auszustellen und sich die Entscheidung in jedem einzelnen Fall selbst vorbehalten müsse. Schleicher sagte seinerseits, dass er unter diesen Umständen nicht imstande sei, im Amt zu bleiben und reichte am 28. Januar seinen Rücktritt ein.

Mitte Januar, als Schleicher zum ersten Mal Notverordnungen forderte, war Hindenburg der Kontakt zwischen Papen und Hitler nicht bekannt – insbesondere deren Treffen im Haus des Kölner Bankiers Kurt von Schroeder. In der zweiten Januarhälfte spielte Papen eine zunehmend wichtige Rolle im Haus des Reichspräsidenten, doch trotz Papens Beeinflussung war Hindenburg bis Ende Januar äußerst zögerlich, Hitler zum Kanzler zu ernennen. Er wollte Papen wieder als Kanzler. Papen gewann ihn schließlich für Hitler mit dem Argument, dass die Abgeordneten der anderen Rechtsparteien, die der Regierung angehören würden, Hitlers Handlungsfreiheit einschränken würden. Darüber hinaus brachte Papen seine Bedenken zum Ausdruck, dass wenn die gegenwärtige Gelegenheit erneut verpasst würde, ein Aufstand der Nationalsozialisten und Bürgerkrieg wahrscheinlich seien.

Viele der persönlichen Freunde Hindenburgs, wie Oldenburg-Januschau, wirkten in die gleiche Richtung wie Papen, auch General von Blomberg. Der Sohn des Präsidenten und Adjutant, Oskar von Hindenburg, war bis zum letzten Moment gegen die Nazis. Der Wendepunkt, an dem sich seine Ansichten änderten, kam Ende Januar. Auf Papens Vorschlag war ein Treffen zwischen Hitler und Oskar von Hindenburg im Hause Ribbentrops arrangiert worden. Oskar von Hindenburg bat mich, ihn zu begleiten; wir nahmen ein Taxi, um die Verabredung geheim zu halten, und fuhren zu Ribbentrops Haus. Bei unserer Ankunft fanden wir eine große Gesellschaft versammelt; unter den Anwesenden befanden sich Göring und Frick.

Oskar von Hindenburg wurde mitgeteilt, dass Hitler tête à tête mit ihm sprechen wolle; da Hindenburg mich gebeten hatte, ihn zu begleiten, war ich etwas überrascht, dass er diesen Vorschlag akzeptierte und zu einem Gespräch, das recht lange dauerte – etwa eine Stunde - in einen anderen Raum verschwand. Worüber sich Hitler und Oskar von Hindenburg während dieses Gespräches unterhielten, weiß ich nicht.

Auf dem Rückweg im Taxi war Oskar von Hindenburg sehr still; die einzige Bemerkung, die er machte, war dass es nichts helfe, die Nazis müssten in die Regierung aufgenommen werden. Mein Eindruck war, dass Hitler es geschafft hatte, ihn in seinen Bann zu ziehen. [ . . . ]



Quelle des englischen Textes: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945 - 1. Oktober 1946. Band XXXI, Amtlicher Text – Deutsche Ausgabe, Urkunden und anderes Beweismaterial. Nürnberg 1948. Neuauflage: München, Delphin Verlag, 1989, Dokument 3309-PS, S. 146-53.

Übersetzung: Insa Kummer

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