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Arnold Brecht über Paul von Hindenburg als Reichspräsident (Rückblick 1966)

Im zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl am 26. April 1925 wurde der ehemalige kaiserliche Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg mit 48,3 Prozent der Stimmen gewählt. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die BVP, die den ehemaligen Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum) nicht unterstützte und stattdessen die Wahl Hindenburgs empfahl. Hindenburg erfüllte zwar die Bestimmungen der Verfassung, blieb jedoch aufgrund seiner monarchisch-autoritären Prägung der parlamentarischen Demokratie gegenüber innerlich auf Distanz. Seine persönlichen Präferenzen und Antipathien hatten nach dem Scheitern der Großen Koalition (27. März 1930) in der Phase der Präsidialregierungen unmittelbare politische Auswirkungen: So sollte nach der Vorgabe Hindenburgs die SPD möglichst dauerhaft von einer Regierungsbeteiligung ausgeschlossen bleiben. Daneben wurde das parlamentarische System zunehmend ausgehöhlt, während der Reichskanzler vorrangig vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhängig war. Außerdem erhielten das Umfeld Hindenburgs („Kamarilla“) – die Lobby der preußischen Junker sowie die Reichswehroffiziere und einige reiche Bankiers und Industrielle – einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf politische Entscheidungen.

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Die eigentliche Überraschung war nicht der Sieg Hindenburgs, der vielmehr im Hinblick auf den schon seit dem Jahre 1920 hervorgetretenen Mangel einer zahlenmäßigen Mehrheit der Anhänger der demokratisch-republikanischen Ideologie folgerichtig erwartet werden mußte, jedenfalls seit es feststand, daß die Kommunisten ihre Stimmen nicht für Marx einwerfen würden. Die eigentliche Überraschung kam später. Es war die ganz unerwartete Tatsache, daß Hindenburg sich der Weimarer Reichsverfassung in voller Loyalität unterwarf und diese Haltung während seiner ersten Amtsperiode ohne Schwanken beibehielt. Von beiden Seiten hatte man damit gerechnet, daß er die rechtsparteilichen Bestrebungen auf Wiedererrichtung der Monarchie, auf Abschaffung der Symbole der demokratischen Republik zugunsten solcher der autoritären Monarchie, besonders der alten Reichsfarben, auf Eindämmung der Rechte der Arbeiterschaft, auf Wiederherstellung mehr patriarchalischer Verhältnisse und anderes mehr mit seiner Autorität und seiner Entschlußkraft unterstützen würde. Die große Überraschung – Enttäuschung auf der einen Seite, Erleichterung auf der anderen – war, daß er das alles nicht tat. Schon im Wahlkampf hatte er erklärt, er habe erst jetzt die Verfassung gelesen und finde sie ganz gut. „Wenn die Pflicht mir gebietet, auf dem Boden der Verfassung ohne Ansehen der Partei, der Person, der Herkunft und des Berufes als Reichspräsident zu wirken, so soll es nicht an mir fehlen.“

Wahlversprechen sind oft bloße Beruhigungspillen; man traut ihnen nicht. Aber der Generalfeldmarschall hielt sein Versprechen sieben Jahre lang. Er leistete den Eid auf die Weimarer Reichsverfassung vor dem versammelten Reichstag, wobei er den Reichstagspräsidenten Löbe aus Versehen mit „Herr Reichspräsident“ anredete (ich stand als Leiter der Verfassungsabteilung hinter ihm auf der Regierungsestrade und dachte: nun ja, er ist alt geworden). Er ließ die schwarz-rot-goldene Standarte auf seinem Palais und auf seinem Kraftwagen wehen und machte keinen Versuch, statt dessen die schwarz-weiß-rote zu zeigen. Er traf keine Anstalten, die Monarchie wiedereinzuführen, hielt sich vielmehr während der ganzen sieben Jahre seiner ersten Amtszeit streng an die Weimarer Verfassung und waltete gewissenhaft seines Amtes so, wie diese es ihm vorschrieb. Er ging sogar so weit, daß er während der ersten fünf Jahre nicht ein einziges Mal von den Rechten des Reichspräsidenten unter Artikel 48 (Notverordnungsrecht) Gebrauch machte, was Ebert zu Hindenburgs Ärger wiederholt getan hatte. Erst als Reichskanzler Brüning ihn im Jahre 1930 als Ausweg aus einer Notlage darum dringend ersuchte, Notverordnungen zu unterzeichnen, ging er darauf ein. Auch dann folgte er gewissenhaft den Vorschriften der Reichsverfassung über die Vorlage jeder Notverordnung an den Reichstag und hob sie sogleich auf, wenn die Mehrheit das verlangte. Er entließ und ernannte sieben Jahre lang Reichskanzler in strengster Befolgung der Verfassungsvorschriften ohne Rücksicht auf seine persönlichen Neigungen; der Sozialdemokrat Hermann Müller war zwei Jahre lang unter ihm Reichskanzler. Er unterschrieb ohne Rücksicht auf seine Gefühle alle verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze, sogar die erste Verlängerung des Republikschutzgesetzes im Jahre 1927, einschließlich – wenn auch mit einigem Brummen – des die weitere Verbannung des Kaisers gestattenden „Kaiserparagraphen“ (siehe oben, Kapitel 43).



Quelle: Arnold Brecht, Aus nächster Nähe, Lebenserinnerungen 1884-1927. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1966, S. 455-56.

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