Mit welchen Hoffnungen waren wir aus dem Krieg zurückgekommen! Wer konnte auf die fortschreitende Gegenrevolution vorbereitet sein, die Anfang 1919 mit der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg begonnen hatte und der bald danach auch Erzberger 1921 und Rathenau 1922 zum Opfer fielen, bürgerliche Demokraten, wer auf die Schurkerei, die sich Inflation nannte? Lohnte es, auf solche Welt mit geistigen Werkzeugen einzuwirken? Hatte Schriftstellerei überhaupt noch einen Sinn? War andererseits das geschriebene wie das gesprochene Wort nicht höchst nötig, um der ständig wachsenden „Reaktion“ entgegenzuwirken? Gab es aber in der ganzen deutschen Republik eine Partei, der man sich verschreiben, mit der man sich identifizieren konnte? Und hätte man voraussehen können, daß die Nachkriegsepoche in einen solchen Taumel von amerikanischem Jazz, Foxtrott und Tango umschlagen würde, als gälte es, auf den Gräbern von zehn Millionen Geopferten den Triumph zu feiern, daß man am Leben geblieben war und nun recht Lärm machen wollte mit Rumbas und Brummbaß, wenn nicht mit ekstatisch expressionistischem Gestammel? All das brachte mich außer mir, es führte mich zu rasenden Ausbrüchen in Reden, Gesprächen, manchmal auch in Artikeln. Was mich am meisten empörte, war die Verdrängung des Krieges – die Verdrängung der Niederlage, wie ich damals dachte, weil ich diesen Vorgang auf uns beschränkt sah, die geschlagenen Mittelmächte.
Quelle: Arnold Zweig, Freundschaft mit Freud. Ein Bericht. Teil I/II, 1947/48, 5. Fassung, Mai 1962, maschinenschr. Manuskript, S. 51f; abgedruckt in Arnold Zweig 1887-1968: Werk und Leben in Dokumenten und Bildern: mit unveröffentlichten Manuskripten und Briefen aus dem Nachlass, herausgegeben von Georg Wenzel. Berlin: Aufbau-Verlag, 1978, S.103-04.