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Kanzlerdemokratie unter Gerhard Schröder (26. Juli 2002)

Unter Gerhard Schröder, so der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, werde die bundesdeutsche Kanzlerdemokratie einem Präsidialsystem immer ähnlicher. Dazu tragen nach seiner Meinung die Zentralisierung der Macht beim Kanzler, die Umgehung des Parlaments durch Konsensrunden und die Medialisierung der Politik bei.

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In der Präsentationsdemokratie
Schröders Regierungsstil prägt die Berliner Republik



Bundeskanzler Gerhard Schröder beschrieb in seiner ersten Regierungserklärung politische Führung als „modernes Chancenmanagement“. Der Verlauf der Legislaturperiode bestätigt die Ankündigung. Schröder regiert, als ob jeden Tag die Wahllokale geöffnet wären: tagessensibel, wechselwählerwirksam, ein Pragmatiker des Augenblicks.

Nach vier Jahren Rot-Grün erweist sich die sogenannte Berliner Republik nicht nur als eine Chimäre der Feuilletons. „Berliner Republik“ beschreibt strukturellen Neuanfang, der das politische System markant verändert. Bundeskanzler Schröder verwandelt die repräsentative Demokratie in eine Präsidentenrepublik. Der Umbau des politischen Systems kann als effiziente Strategie des Regierens in einer medialen Aufregungsdemokratie gedeutet werden. Und: Andauernde Verstöße gegen Regeln der parlamentarischen Demokratie unterhöhlen die Fundamente der Bonner Republik. Mal werden Regeln bewußt und offen gebrochen, mal subtil, etwa durch Neuinterpretation.

Gerhard Schröder stieg in der Rolle des Rebellen auf. Das frühe Rütteln am Zaun des Kanzleramtes war ein Vorgeschmack auf den Stil einer Führungsperson, die politische Grenzen und Regeln systematisch verletzt. In der SPD kritisierte Schröder das Establishment und die Vorsitzenden so lange, bis keiner mehr übrigblieb, der sich mit ihm messen wollte. Als er schließlich selbst Vorsitzender wurde, stand die Organisation der Partei zunächst einer weiteren Zentralisierung der Macht auf den Kanzler im Weg. Erst die Einführung eines Generalsekretärs – nach dem Muster der Unionsparteien – schuf die Voraussetzung für einen weiteren Machtgewinn Schröders. Der Enttraditionalisierung des Programms der Sozialdemokratie folgte die Enttraditionalisierung der Struktur der SPD – auch eine subtile Art von Regel- und Grenzverletzung.

Wichtiger noch ist der Umgang mit Bundestag und Bundesrat. Gewohnte Verfahren im Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß dieser Verfassungsorgane sind in der laufenden Legislaturperiode durchbrochen oder neu interpretiert worden. Das berührt die Substanz unserer Verfassung. Eine ausgedehnte exekutive Steuerung parlamentarischer Prozesse verschiebt die Machtverhältnisse. Schröders Demokratie ist eine Verhandlungsdemokratie. Interessengruppen werden zusammengebracht und auf einen Konsens verpflichtet – außerhalb des Bundestages. Netzwerke sollen verhindern, daß Entscheidungen blockiert werden. Wer einen solchen Konsens zustande bringt, der übt seine Macht auf sanfte Weise aus. Der Kanzler befriedigt Sehnsüchte der Bevölkerung; mit runden Tischen, Bündnissen für Arbeit oder auf Zeit, Ethikräten und Kanzlerrunden pflegt und intensiviert er den korporatistischen Stil seines Vorgängers.

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