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Pazifismus in der Bundesrepublik (Januar 2003)

Im Vorfeld des amerikanischen Angriffs auf Irak war der Pazifismus nicht mehr, wie noch in den achtziger Jahren, mehrheitlich eine Angelegenheit der Linken, sondern eine breite Grundstimmung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die bei der Auseinandersetzung um den Irak-Krieg besonders deutlich geworden war. Gleichzeitig gab es jedoch keinen generellen Widerstand gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr, da diese nicht als Teilnahme am Krieg, sondern als „polizeiliche Aktion“ zur Verbreitung des Friedens verstanden wurden.

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Dann gibt es nur eins: nie wieder!

Krieg gegen Saddam? Ohne uns! Der deutsche Pazifismus, geboren aus Schuld und Angst, prägt längst die bürgerliche Mitte. Zugleich gewöhnt sich die Linke an den bewaffneten Kampf für die Menschenrechte. Eine Reise durch die Gefühlswelt der Bundesrepublik.


Wie würde, wie wird bei einem Angriff auf den Irak die deutsche Öffentlichkeit reagieren? Im Golfkrieg von 1991 war die Stimmung fast hysterisch, mit weißen Bettlaken, die aus den Fenstern hingen, und allmorgendlich atemlos verfolgtem Frühstücksfernsehen – obwohl die Bundesrepublik sich militärisch gar nicht beteiligte. Bei der Intervention im Kosovo 1998 taten deutsche Soldaten mit, aber auf den Straßen blieb es ruhig, wohl weil der erste Kriegseinsatz nach 1945 durch eine linke Regierung gleichsam moralisch abgeschirmt wurde. Am aufgewühltesten ging es zu, als gar kein Schuss fiel, im Nachrüstungsstreit der frühen achtziger Jahre: Weltuntergangsängste im Schatten der atomaren Mittelstreckenraketen, von Pershing und SS-20. Wie also sieht es diesmal aus?

Über Frieden, Friedenssehnsucht, Friedensbewegung, Friedenspolitik ist schwer vernünftig zu reden. Für manche, ziemlich viele sogar, liegt hier das Unantastbare schlechthin, ein moralisches Sperrgebiet, ein beinahe oder buchstäblich religiös bewehrtes Tabu. Anderen dagegen stößt gerade beim Friedensthema ein besonders ungenießbares Gutmenschentum auf, der schlechte Geschmack von politischem Kitsch. Manchmal wirken die Sanftmütigen in der Tat wie ihre eigene Karikatur. Bei jedem Satiriker hätte man den Einfall billig und albern gefunden, dass neulich während einer Irak-Diskussion in der hannoverschen Marktkirche als erster Publikumsbeitrag via Internet das Statement der Pfarrerin Tina Hülsebus eintraf, Absender „Dahab, Süd-Sinai, Ägypten“, mit strengen Urteilen über die unchristliche Arroganz der Vereinigten Staaten. Aber genau so ist es gewesen: Frau Pastorin ordnet vom Berge Sinai aus das Weltgeschehen. Dieses Milieu gibt es also wirklich noch.

Trotzdem ist der Kirchentagspazifismus der frühen achtziger Jahre nicht mehr der Schlüssel zur bundesdeutschen Friedensbefindlichkeit. Die hannoversche Veranstaltung hatte nichts von Apokalyptik oder Fanatismus an sich. Es war eine Talkshow mit leidlich professioneller Moderation, Ausstrahlung ein paar Tage später auf Phönix, und Christian Ströbele und Peter Scholl-Latour als Stargästen. So glatt im Medien-Mainstream hatten sich die Nachrüstungsgegner nicht bewegt. Vor allem aber lohnten die Zuhörer einen genaueren Blick, die jetzt aus Sorge vor einem Angriff auf den Irak erschienen waren – zahlreich, sodass viele draußen bleiben mussten. Es war ein ausgesprochen bürgerliches Publikum, wohlgekleidet und paarweise erschienen, im Alter recht gleichmäßig gestreut zwischen vierzig und siebzig. Das ist die Mitte der deutschen Gesellschaft, und wer sie hier sitzen sah, der wusste sofort, dass Gerhard Schröder tatsächlich mit der Parole „Krieg? Ohne uns!“ die Bundestagswahl gewonnen hat. Es ist nichts Linkes, nichts Alternatives und nichts Radikales mehr, gegen Bomben, Raketen, Panzer und besonders gegen die Amerikaner zu sein, es ist eine deutsche Grund- und Mehrheitsstimmung.

Mehrheitsfähig, heißt das, auch bei den Wählern und im Wertekosmos der Union. Das ist neu. Wolfgang Schäuble hat es zu spüren bekommen, als er im Wahlkampf als zuständiger Außenpolitiker der Stoiber-Kampagne die Kriegsoption zumindest nicht ganz ausschließen wollte. Der Kandidat und seine Strategen wollten mit diesem unpopulären Realismus nichts zu tun haben. Im Adenauer-Haus gingen mehr Protestbriefe ein als bei der Nominierung der unverheirateten Mutter Katherina Reiche zur künftigen Familienministerin, die angeblich die Seele der Partei so erregt hatte. Es sind, wie Schäuble beobachtet, gerade die Älteren, für die der Krieg der Übel größtes bleibt. Für die „Erlebnisgeneration“ von Stalingrad und Dresden war er das in gewisser Weise immer. Aber hier saßen auch der Antikommunismus und die Angst vor der Sowjetunion besonders tief. Jetzt, da man sich vor den Russen nicht länger fürchten muss, hat das Kriegstrauma gleichsam freie Bahn. Und die Vereinigten Staaten werden auch nicht mehr so dringend gebraucht.

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