GHDI logo


Godesberger Programm der SPD (November 1959)

Nach den Wahlniederlagen der SPD gegen die CDU Konrad Adenauers 1953 und 1957 wächst in der Partei das Bewusstsein dafür, dass der Zugang zu neuen Wählerschichten nur über eine grundlegende Reform der eigenen politischen Ziele und des Parteiprogramms gelingen wird. Die ökonomischen Erfolge der auf das Privateigentum gegründeten sozialen Marktwirtschaft in den 1950er Jahren und die Entstehung einer neuen Mittelschicht lassen die sozialistischen Positionen der SPD obsolet erscheinen. In der Außenpolitik ist ihre Forderung nach einer Wiedervereinigung unter neutralistischen Vorzeichen angesichts der festen Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Gemeinschaft nicht mehrheitsfähig.

Das Godesberger Programm vom November 1959 bedeutet einen grundlegenden Kurswechsel von der „Partei der Arbeiterklasse zu einer Partei des Volkes“: Die SPD vertritt nicht länger einen Sozialismus marxistischer Prägung. Das Privateigentum und marktwirtschaftliche Prinzipien werden anerkannt, die Rolle des Staates auf allgemeine Planungs- und Lenkungsaufgaben beschränkt. Das Bekenntnis zur Landesverteidigung sowie gesellschaftspolitische Forderungen wie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft, die Gleichberechtigung von Frauen und verbesserte Bildungsmöglichkeiten runden das Programm ab.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 9


Die Sozialisten erstreben eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann.

Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander. Denn die Würde des Menschen liegt im Anspruch auf Selbstverantwortung ebenso wie in der Anerkennung des Rechtes seiner Mitmenschen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und an der Gestaltung der Gesellschaft gleichberechtigt mitzuwirken.

Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, die aus der gemeinsamen Verbundenheit folgende gegenseitige Verpflichtung, sind die Grundwerte des sozialistischen Wollens.

Der demokratische Sozialismus, der in Europa in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie verwurzelt ist, will keine letzten Wahrheiten verkünden – nicht aus Verständnislosigkeit und nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber den Weltanschauungen oder religiösen Wahrheiten, sondern aus der Achtung vor den Glaubensentscheidungen des Menschen, über deren Inhalt weder eine politische Partei noch der Staat zu bestimmen haben.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist die Partei der Freiheit des Geistes. Sie ist eine Gemeinschaft von Menschen, die aus verschiedenen Glaubens- und Denkrichtungen kommen. Ihre Übereinstimmung beruht auf gemeinsamen sittlichen Grundwerten und gleichen politischen Zielen. Die Sozialdemokratische Partei erstrebt eine Lebensordnung im Geiste dieser Grundwerte. Der Sozialismus ist eine dauernde Aufgabe – Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen, sie zu bewahren und sich in ihnen zu bewähren.

Grundforderungen für eine menschenwürdige Gesellschaft

Aus der Entscheidung für den demokratischen Sozialismus ergeben sich Grundforderungen, die in einer menschenwürdigen Gesellschaft erfüllt sein müssen:

Alle Völker müssen sich einer internationalen Rechtsordnung unterwerfen, die über eine ausreichende Exekutive verfügt. Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein.

Alle Völker müssen die gleiche Chance haben, am Wohlstand der Welt teilzunehmen. Entwicklungsländer haben Anspruch auf die Solidarität der anderen Völker.

Wir streiten für die Demokratie. Sie muß die allgemeine Staats- und Lebensordnung werden, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist.

Wir widerstehen jeder Diktatur, jeder Art totalitärer und autoritärer Herrschaft; denn diese mißachten die Würde des Menschen, vernichten seine Freiheit und zerstören das Recht. Sozialismus wird nur durch die Demokratie verwirklicht, die Demokratie durch den Sozialismus erfüllt.

Zu Unrecht berufen sich die Kommunisten auf sozialistische Traditionen. In Wirklichkeit haben sie das sozialistische Gedankengut verfälscht. Die Sozialisten wollen Freiheit und Gerechtigkeit verwirklichen, während die Kommunisten die Zerrissenheit der Gesellschaft ausnutzen, um die Diktatur ihrer Partei zu errichten.

Im demokratischen Staat muß sich jede Macht öffentlicher Kontrolle fügen. Das Interesse der Gesamtheit muß über dem Einzelinteresse stehen. In der vom Gewinn- und Machtstreben bestimmten Wirtschaft und Gesellschaft sind Demokratie, soziale Sicherheit und freie Persönlichkeit gefährdet. Der demokratische Sozialismus erstrebt darum eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite