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Hans Modrows Reformagenda (17. November 1989)

Egon Krenz' Amtszeit sollte nur von kurzer Dauer sein. Innerhalb eines Monats wurde er von Hans Modrow, einem beliebteren Sekretär der SED-Bezirksleitung in Dresden, als Haupt der DDR-Regierung ersetzt. Am 17. November 1989 umriss er sein Reformprogramm zur Erneuerung des Sozialismus und Rettung der Unabhängigkeit der DDR durch eine engere Kooperation mit der Bundesrepublik.

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Wir brauchen von denjenigen, die sich dazu bereitfinden, einen Vertrauensvorschuß, und ich weiß, daß ich damit schon viel verlange. Deshalb will ich hier erklären: Diese Regierung wird nur das versprechen, was sie wirklich halten kann.
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Wir bekennen uns zu den Leistungen der Werktätigen in all den vergangenen Jahrzehnten. Immer wieder kommt in diesen Tagen der Wille zum Ausdruck, das in harter Arbeit Geschaffene zu erhalten, nichts aufzugeben, die Mühe all der schweren Jahre nicht in den Rauch zu schreiben. [ . . . ]

Die Wirtschaft der DDR aus der Krise zu führen, ihr Stabilität zu verleihen und Wachstumsimpulse zu geben, ist jetzt die wichtigste Aufgabe der Regierung, und diese Aufgabe werden wir in eigener Kompetenz anpacken.

Verantwortlich sind wir der Volkskammer, und ihr haben wir Rechenschaft zu legen. Wir verstehen das als Rechenschaft vor dem Volk. Jeder, der bei uns in dieser Arbeit helfen will, ist willkommen. [ . . . ]

Auch und gerade eingedenk all dieser Tatsachen sollen für diese Regierung andere Maxime gelten, nämlich jene, die vom Volk als Tugenden geschätzt werden: Offenheit und Ehrlichkeit, Ordnung und gesetztreues Verhalten, Bescheidenheit und Sparsamkeit, Fachkompetenz statt Losungen oder flotter Redensarten. Was im Betrieb von jedem Werktätigen gefordert wird, muß auch für die Regierung, für die Staatsorgane insgesamt gelten: Qualitätsarbeit. Wo sie nicht geleistet wird, kann und muß sie durch die Bürger eingefordert werden, auch nachdrücklich und öffentlich. [ . . . ]

Unsere Wirtschaft hat Probleme, ihre materiellen Ressourcen sind derzeit begrenzt. Ihre Proportionen müssen deutlich verbessert, ihre Grundmittel müssen in vielen Bereichen modernisiert werden. Aber die volkswirtschaftliche Substanz unseres sozialistischen Staates ist kräftig genug und tragfähig für eine Stabilisierung in absehbarer Zeit, um dann aus besseren Positionen in den nötigen Aufwind zu kommen. [ . . . ]

Zum Regierungsprogramm gehören Reformen, wie sie auch von den Parteien und anderen gesellschaftlichen Kräften, von vielen Bürgern vorgeschlagen, gefordert, in Umrissen skizziert worden sind. [ . . . ] Ich nenne als Wichtiges:

Erstens Reformen des politischen Systems, verbunden mit gesetzgeberischen Schritten, um Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit zu stärken. Dazu gehören insbesondere ein Wahlgesetz, ebenso ein Gesetz über den Ministerrat sowie ein Mediengesetz. Änderungsvorschläge für das Strafrecht können relativ bald erfolgen. Das Reisegesetz, eventuell auch Paßgesetz genannt, ist nach geführter Diskussion vorzulegen.

Zweitens geht es um eine Wirtschaftsreform, die zum Ziel haben muß, die Eigenverantwortlichkeit der wirtschaftenden Einheiten zu erhöhen, um die Effektivität ihrer Arbeit bedeutend zu vergrößern, die zentrale Leitung und Planung auf das erforderliche vernünftige Maß zu reduzieren sowie – vielleicht ist das die komplizierteste Aufgabe – das Leistungsprinzip mehr und mehr durchzusetzen. Ich schlage vor, die Wirtschaftsreform, ihre Inhalte und Etappen durch spezielle Beratung der Volkskammer und ihrer Ausschüsse unter Anhörung von Sachverständigen zu profilieren. Die sorgfältige, unvoreingenommene Prüfung der Subventions- und Preispolitik ist in diesem Rahmen eine besondere Aufgabe.

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