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Ein liberaler Intellektueller beschreibt die „Last, Deutscher zu sein” (2. September 1983)

In einer Kolumne der liberalen Wochenzeitung Die Zeit denkt einer ihrer Herausgeber über den mangelnden Nationalstolz der Intellektuellen nach, beschreibt ihre schwache Bindung an die Bundesrepublik und spricht sich für die Anerkennung der deutschen Kultur und Sprache sowie für die Auffassung von der Bundesrepublik als einer Region im größeren europäischen Rahmen aus – womit er dem Nationalbewusstsein eine Absage erteilt.

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Von der Last, Deutscher zu sein


Bloß nicht Deutscher sein – der Satz steht in dem Roman „Die Libelle“, John le Carrés neuem Weltbestseller „The Little Drummer Girl“ (siehe Seite 35). Die Gattung „Spionageroman“ steht bei uns nicht sehr hoch in der literarischen Hierarchie. Aber ein Autor vom internationalen Rang David Cornwells (alias John le Carré) will dennoch nicht diagonal, will Satz für Satz gelesen sein. Da wird der deutsche Leser vielleicht stutzig, wenn er liest: (Alexis, der Deutsche, beschloß,) „im nächsten Leben werde ich Jude oder Spanier oder Eskimo oder ein radikaler Anarchist wie alle Welt auch. Bloß nicht Deutscher – das tut man nur einmal, aus Buße, und damit hat sich's auch.“

Der Satz muß einen Deutschen faszinieren und verstören. Nicht so sehr, weil er nun in Millionen-Auflage verbreitet wird. Eher schon, weil man seinem Autor, der lange unter Deutschen gelebt, der manche deutschen Freunde hat, eine „anti-deutsche“ Haltung nicht nachsagen kann. Vor allem jedoch, weil David Cornwell ja nur auf eine griffige Formel gebracht hat, was in aller Welt die vorherrschende Meinung über uns Deutsche ist – und was manche von uns manchmal selber denken. Machen wir uns da nichts vor, nur weil unsere französischen Freunde oder amerikanischen Kollegen höflich, wo nicht gar freundlich bereit sind, dem einen oder anderen von uns einen Sonderstatus einzuräumen. Daß viele von uns es als Kompliment empfinden, wenn sie gesagt bekommen, „Sie wirken aber gar nicht wie ein Deutscher“, sagt mehr, als wir wahrhaben wollen.

Wir Deutschen denken zu viel über uns selber nach und wollen zu sehr geliebt werden. Da man uns das ohnehin nachsagt, soll diesem Nationallaster auch hier gefrönt werden dürfen. Schließlich: Wer, außer J. R. Ewing, wollte nicht geliebt werden? Und über uns selber nachzudenken, haben wir gute Gründe.

Nach Spanien zieht es wie den Dr. Alexis so viele von uns, von der Legion Condor bis zu den Villen-Besitzern an der Costa Brava, daß irgendeine Affinität zu bestehen scheint, und stellte sie sich am Ende auch heraus als Sehnsucht nach Sonne und erschwinglichen Preisen. Ob ebensoviele Deutsche gern Juden wären, wie Juden gern Deutsche gewesen sind vor dem Schrecklichen: das darf bezweifelt werden, entzieht sich jedenfalls pointierender Erörterung. Die Eskimos sind ein Schriftsteller-Gag des John le Carré; „Neger“ wäre besser gewesen, schon in Erinnerung an Kurt Tucholsky, der sich gerade noch so eben einen Eskimo vorstellen konnte, der italienische Arien singt, aber keinen Neger, der sächselt.

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