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Konservatives Plädoyer für ein positiveres Preußenbild (21. Oktober 1978)

Angesichts der Tatsache, dass selbst die ostdeutsche Regierung anfing, eine Rückbesinnung auf fortschrittliche preußische Traditionen zu fördern, plädiert der konservative Journalist Günther Zehm in der Bundesrepublik für eine ähnliche Aufgabe der Stereotypen von Militarismus und Autoritarismus und einen offeneren Umgang mit dem liberalen und humanitären Erbe Preußens.

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Auf der Suche nach Preußen


Erfreuliches ist aus Ost-Berlin zu vermelden: In der FDJ- und Studentenzeitung „Forum“ wurde eine Kampagne zur (wenigstens teilweisen) Rehabilitierung des preußischen Staates und der preußischdeutschen Tradition gestartet. Zwar ist das Unternehmen nicht frei von Widerhaken. Man will „nur den fortschrittlichen Zug“ in der Geschichte Preußens würdigen, und man will „ein Gegengewicht schaffen gegen den reaktionären Preußenkult in der BRD“. Aber der Feststellung des „Forums“, daß das Bild Preußens durch den Kampf Bismarcks gegen die „revolutionäre Arbeiterbewegung“ lange Zeit über Gebühr verdunkelt worden sei, ist voll zuzustimmen. Sie zeugt von einem Erkenntnisniveau, das im Westen viele sozialdemokratische Kreise noch keineswegs erreicht haben. Diese ergehen sich gerade jetzt wieder, da man sich an „hundert Jahre Sozialistengesetz“ erinnert, unverdrossen in den alten Klischees, die die Linke sich allezeit von Preußen gemacht hat.

Das antipreußische Klischee: Ganze Dissertationen ließen sich mit diesem kuriosen Thema füllen. Eine unermüdliche Koalition aus Sozialisten, Ultramontanen und Münchner Karikaturisten bosselte nach 1870 an seinem Zustandekommen, und schließlich war das Schreckbild vom monokelbewehrten, blödsinnig schnarrenden „preußischen Leutnant“ so überlebensgroß geworden, daß seine Erfinder selbst daran glaubten und Preußen ohne weiteres mit der Karikatur gleichsetzten.

Schlimmer noch: Auch das Ausland begann daran zu glauben. Es führte später das Hitlerregime geradlinig auf die „Verpreußung Deutschlands“ zurück. Als sich im Zweiten Weltkrieg die Niederlage Deutschlands abzuzeichnen begann, meinte Winston Churchill, man solle nach dem Sieg in erster Linie „Preußen“ bestrafen und die übrigen deutschen Länder schonen. 1945 verkündeten die Alliierten in einem bombastischen Beschluß, daß Preußen nunmehr abgeschafft sei. Sie hatten nicht gemerkt, daß es das Land seit 1934 gar nicht mehr gab. Damals hatte es der Bayer Hermann Göring auf Geheiß des Österreichers Adolf Hitler schon einmal abgeschafft.

So erscheint es heute hoch an der Zeit, die Geschichte Preußens und seine befruchtende Rolle in der deutschen Staats- und Kulturgeschichte wiederzuerinnern. Daß der Berliner Senat sich vornahm, eine große, objektive Preußenausstellung auszurichten, war ein guter und notwendiger Einfall, und daß jetzt die „DDR“ nachziehen will, kann nur begrüßt werden. Wer „fortschrittliche Impulse“ aufspüren will, dem öffnet sich bei der Erforschung Preußens ein weites, vielversprechendes Feld.

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