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Friedensbewegung und die deutsche Außenpolitik (19. Oktober 1981)

Der französische Politikwissenschaftler und Deutschlandexperte Alfred Grosser untersucht in diesem Beitrag die Ursprünge und Motivationen der westdeutschen Friedensbewegung und interpretiert sie auch als Teil der weit verbreiteten außenpolitischen Haltung des „Ohne uns“. Der Aufsatz wurde zuerst in der Pariser Tageszeitung Le Monde veröffentlicht.

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„Diese Krise ist die schwerste“

Der französische Politologie-Professor Alfred Grosser, 56, gilt als einer der besten europäischen Deutschland-Kenner. Der folgende Beitrag entstammt der Pariser Tageszeitung „Le Monde“.


Es kann sein, daß Helmut Schmidt bis zu den Wahlen 1984 Kanzler bleibt. Es kann aber auch sein, daß er bald schon stürzt — nach rechts oder auch nach links. Nach links heißt, er würde von seinem liberalen Verbündeten im Stich gelassen, weil dem die Sozialpolitik der Regierung zu lax, die Haushaltspolitik nicht restriktiv genug wäre. Nach rechts heißt, er würde wegen der Militärpolitik von seiner eigenen Partei im Stich gelassen.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Pazifisten und die CDU-Opposition gleichzeitig siegen, was zu einer explosiven Situation führen würde. Im Augenblick jedoch nimmt natürlich die Spaltung zwischen den Demonstranten in Bonn und der Gesamtheit der drei parlamentarischen Parteien die Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch.

Der zuverlässigste Verbündete der USA ist innerhalb des Bündnisses zum Land mit dem lebhaftesten Antiamerikanismus geworden. Der Staat, in dem weder die Wiedervereinigung noch Europa Hauptanliegen waren, sondern vielmehr die Sicherheit, ist zu einem Land geworden, in dem das „Ohne uns" und die Weigerung, die Außenpolitik unter dem Aspekt der Verteidigung zu betrachten, zu triumphieren scheinen: Welch eine Überraschung!

Dennoch darf man zwei gleichbleibende Faktoren, die zu einem guten Teil als Erklärung für die Umkehrung dienen können, nicht außer acht lassen.

Zunächst unterscheidet sich die Beziehung zur Vergangenheit sehr stark von der französischen. Wenn François Mitterrand auf seiner Pressekonferenz sagt, „Frankreich verwechselt nicht Pazifismus als Postulat mit Frieden als Resultat", so trifft er, wegen 1938, kaum auf Widerspruch: In München hat man kapituliert, weil man schwach war, weil man pazifistisch gewesen war, dafür bekam man den Krieg.

In der Bundesrepublik sind die beiden Vergleichsansätze das Jahr 1939, der Ausbruch des Krieges, und 1945, die Katastrophe, die Toten und die Ruinen als Folge. Wenn jetzt so viele Deutsche für die Friedensidee demonstrieren, dann zum Teil deshalb, weil so viele Deutsche einst dazu gebracht worden waren, den Krieg zu bejubeln.

Außerdem setzt sich eine Bewegung fort, die 1950 mit der Ankündigung der Wiederbewaffnung begann, einer Ankündigung, die eine ganze Generation in ihrer Überzeugung, Militarismus müsse mit Anti-Militarismus gesühnt werden, überrumpelte.

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