Bonn, halb Festung halb Festival
Beobachtungen beim Aufmarsch der 250 000 im Hofgarten
Einige haben schon an der Poppelsdorfer Allee übernachtet. Es ist kalt, es regnet. Um 5.26 Uhr läuft am Hauptbahnhof der erste Sonderzug ein. Die Bonner haben ihre Autos in Nebenstraßen abgestellt. Die Polizei steht bereit, weiße Dienstmütze, Pistole zwar, aber kein Gummiknüppel. 3000 zivile Ordner. Die Stadt verwandelt sich von Stunde zu Stunde in eine Mischung aus Festung und Festival.
Fünf Marschsäulen formieren sich in Richtung Hofgarten. Nur ein Viertel der 250 000 (oder 300 000? Oder noch mehr?) findet dort Platz. Der Rest verteilt sich. Bonn hat 285 000 Einwohner. Man sieht sie, sofern sie nicht selber mit draußen sind, hinter ihren Gardinen, manche fröhlich winkend, andere zweifelnd ängstlich. Was wird dieser Tag bringen?
An den Straßen wachsen die ersten Informationsstände aus dem Boden. Zwei junge Leute schleppen auf einem Moped eine Pappmaché-Bombe von zwei Meter Länge mit sich. „Dies ist das Kreuz unserer Zeit", steht darauf. Die Leute vom „Komitee für Frieden und Abrüstung" haben auf ihre weißen Tuniken Gerippe gemalt. Mütter tragen ihre Kleinkinder auf dem Schoß. Selbst einige Hunde, artig an der Leine, führen Schilder mit sich. Zum Beispiel: „Ich sch ... auf die Neutronenbombe."
Die Leute lachen viel, wildfremde Menschen haken sich ein. Weiße Fahnen und Transparente überwiegen das Rot. Selbst die DKP hat auf ihre Farbe hier und da verzichtet: Auf dem Fahnengrund flattern weiße Friedenstäubchen. Die Aufschriften sind grün.
Überall finden Vorauskundgebungen statt. Man hört im Lautsprecher Helmut Gollwitzer, sehr laut, mit starker Bewegung in der Stimme: „Helmut, wir kommen, Helmut, wir kommen." Er erinnert an die Ostermarschbewegung. „Leistet Widerstand!" ruft er. Man hört Worte wie „Volkskampf" und „Aufstand der Massen".
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