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„An die Basis – gegen die Selbstzufriedenheit”: Diskussionsbeitrag Erwin Strittmatters auf der Bitterfelder Konferenz [Auszug] (24. April 1959)

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Die »harte Schreibweise«

Aber es gibt noch andere Gründe, die die wirklich schöpferische und vorwärtsweisende Diskussion im Verband hemmen. Wir sind soeben dabei, eine Diskussion über die sogenannte »harte Schreibweise« vorzubereiten. Einige unserer jungen und einige unserer nicht mehr ganz jungen Autoren haben sich diese Schreibweise von nicht sehr fortschrittlichen amerikanischen oder westdeutschen Schriftstellern abgeguckt. Sie sagen etwa so: Was faselt ihr davon, daß die Helden unseres Werktages poetische und liebenswerte Menschen sind? Die Realität ist hart. Das Kombinat »Schwarze Pumpe« wird nicht von weißen Lämmern aufgebaut. Na, das gewiß nicht! Es wird aber nicht nur von Radaubrüdern, Säufern, Glücksrittern und von solchen Arbeitern aufgebaut, die ihre Kräfte um der dicken Lohntüte willen verdoppeln und verdreifachen. Vorige Woche sagte ein Kollege in der Mitgliederversammlung des Berliner Verbandes etwa folgendes: Man kann von zwei Enden in einen Betrieb gehen; das eine Mal mit der Absicht, die Menschen in den Produktionsstätten zu verstehen, sie lieben lernen, das andere Mal, als ob man in den Zoologischen Garten geht und naturwissenschaftliche Feststellungen macht. Er sagte das noch etwas krasser. Sogleich aber erhob sich unter den Mitgliedern ein Proteststurm: Ja, wer geht denn so zu den Arbeitern! Man wollte die zweite Art nicht für wahr haben. Und doch gibt es bei uns ein solch literarisches liebloses Herangehen an die Arbeit unserer Werktätigen: Alles Poetisieren der Arbeiter und der Arbeit ist streng verpönt; nackt und kalt wird über Vorgänge und Menschen geschrieben, als seien die Arbeiter Maschinenteile, die zufällig auch denken können. So etwas Ähnliches drückt sich meines Erachtens auch in der sogenannten »harten« Schreibweise aus.

Kurz und gut: Wir bereiten eine Diskussion über jene Schreibart des »harten Schreibens« vor. Aber schon bei den Vorbereitungen zu dieser Diskussion stellen wir fest, daß darüber bei unseren Kollegen im Vorstand, die von unseren Kollegen als Vorbilder betrachtet werden, keine Klarheit herrscht. Das ist nicht so schlimm, heißt es, wozu über diese Art zu schreiben extra eine Diskussion? Das ist ganz einfach ein künstlerisches Mittel unter anderen. Ich glaube, das Problem ist ernster.

Seitdem ich im Verband sitze und mir langsam einen Überblick verschaffen kann, sehe ich, daß sich unsere jungen Autoren dieser Schreibweise zuwenden und befleißigen. Das Problem ist deshalb ernst, weil unsere Werktätigen instinktiv, aber zuweilen auch schon sehr bewußt merken, daß man auf diese Weise schlecht von ihnen spricht, schlecht von ihnen schreibt. All ihr Denken und Fühlen wird unterschlagen. Man manipuliert ihr Herz in die Lohntüte hinein. Sie fühlen sich unverstanden und sagen: So sind wir nicht. Selbst dann, wenn man ihnen einzureden versucht, es sei echte Kunst, mit der sie es da zu tun hätten, sie müßten das kennen und sich darauf einstellen und sich daran gewöhnen. Was für eine Blasiertheit!

Wie wollen wir jetzt eine solche Diskussion mit den jüngeren Schriftstellern, die es betrifft, machen, wenn die älteren und erfahreneren sich nicht über das Antihumanistische dieser Schreibweise einig sind, wenn sie das Problem für gar nicht so ernst halten. Da stiften wir doch Verwirrung. Das darf es nicht geben. Die ungeklärten Probleme schwelen weiter. Die alten Genossen werden auf diese, die jungen Genossen auf jene Art von Resignation ergriffen, und das ganze Verbandsleben wird lahmgelegt.

Was wurde zum Beispiel gemacht, als das neue Sekretariat den Plan für die künftige Verbandsarbeit vorlegte? Zunächst diskutierte man über formale Unzulänglichkeiten dieses Planes. Die Sprache sei nicht schön genug, sie hätte zuviel Funktionärjargon usw. usw. Dabei war dieser Arbeitsplan gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Waren es aber wirklich nur formale Gründe, die die Diskussion endlos ausdehnten? Es zeigten sich sogar Bestrebungen, die Verabschiedung des Arbeitsplanes erst ein Vierteljahr später auf der nächsten Vorstandssitzung vorzunehmen. Weshalb das? Man kommt der Sache näher, wenn man den Blick auf den folgenden Punkt richtet.

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