3. Von der Bundesregierung wird inzwischen als das entscheidende Argument für die Stationierung d[ie] Notwendigkeit d[er] Loyalität angeführt. Aber darf ein Abgeordneter bestätigen und beschließen, was er für falsch erkennt, ja wovon er weiß, daß es zum kollektiven Selbstmord führen kann, nur um die Verläßlichkeit und Bündnistreue der Bundesrepublik unter Beweis zu stellen?
Ist die Welt im Atomzeitalter nicht zu komplex und gefährlich geworden[,] als daß wir die Unfähigkeit, eine Vorentscheidung unter veränderten Bedingungen zu revidieren, noch als Tugend ansehen dürfen? Auch sind es gerade große Teile des amerikanischen Volkes und bedeutende amerikanische Politiker, die sich jetzt wenigstens von den Europäern einen Akt der Vernunft erhoffen.
4. Eine entschiedene Rückkehr zu einer Politik der Entspannung und viel Phantasie bei ihrer Neugestaltung ist erforderlich. Angesichts des auf deutschem Boden angehäuften ungeheuren atomaren und konventionellen Waffenpotentials ist es die besondere Verpflichtung deutscher Politiker, eine wirkliche Abrüstung einzuleiten. Wir appellieren an den Bundestag, sich der Politik der Konfrontation und bedingungslosen Blockbindung, die die Teilung Europas und insbesondere Deutschlands weiter zu vertiefen droht, zu widersetzen. Das von der jetzigen Bundesregierung geäußerte Interesse an einer Verbesserung des Verhältnisses zur DDR ist mit dem Vollzug der »Nachrüstung« nicht zu vereinbaren. Wem es um bessere Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten und um das Wohl des deutschen Volkes geht, kann der Stationierung nicht zustimmen. Dies wäre auch ein Schlag gegen die Friedenskräfte in der DDR, insbesondere gegen die eigenständigen Friedensinitiativen.
Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnt – wie eindeutig aus Meinungsumfragen hervorgeht – die Stationierung ab und zieht allemal die unbefristete Fortführung der Verhandlungen und den Aufschub der Stationierung vor.
Mit Millionen Mitbürgern und gemeinsam mit vielen Bürgern aus der DDR appellieren wir an ihr Gewissen, einen neuen Schritt zur Fortsetzung des Rüstungswettlaufs zu verweigern, und beschwören Sie: Sagen Sie Nein!
Heinrich Albertz, Astrid Albrecht-Heide, Ulrich Albrecht, Peter Brandt, Andreas Buro, Ingeborg Drewitz, Oskar Lafontaine, Jo Leinen, Alfred Mechtersheimer, Horst Eberhard Richter, Rudolf Steinke, Ernst Tugendhat, Michael Theunissen, Werner Vitt, Jörg Zink u. a.
Quelle: Appell von Bürgern aus der BRD und DDR: SAGEN SIE NEIN! (Herbst 1983); abgedruckt in Bernhard Pollmann, Hg., Lesebuch zur Deutschen Geschichte, Band 3, Vom deutschen Reich bis zur Gegenwart. Dortmund, 1984, S. 265-67.