GHDI logo

Albert Einstein, „Was ist Relativitäts-Theorie?” (28. November 1919)

Seite 3 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Die Durchführung dieses allgemeinen Relativitätsprinzips wird nahe gelegt durch eine längst bekannte Erfahrung, nach welcher die Schwere und die Trägheit eines Körpers durch die selbe Konstante beherrscht werden. (Gleichheit der trägen und schweren Manne). Man denke etwa an ein Koordinatensystem, welches relativ zu einem Inertialsystem im Sinne Newtons in gleichförmiger Rotation begriffen ist. Die relativ zu diesem System auftretenden Zentrifugalkräfte müssen im Sinne von Newtons Lehre als Wirkungen der Trägheit aufgefaßt werden. Diese Zentrifugalkräfte sind aber genau wie die Schwerkräfte proportional der Masse der Körper. Sollte es da nicht möglich sein, das Koordinatensystem als ruhend und die Zentrifugalkräfte als Gravitationskräfte aufzufassen? Die Auffassung liegt nahe, aber die klassische Mechanik verbietet es.

Diese flüchtige Überlegung läßt ahnen, daß eine allgemeine Relativitätstheorie die Gesetze der Gravitation liefern muß, und die konsequente Verfolgung des Gedankens hat die Hoffnung gerechtfertigt.

Aber der Weg war schwerer als man denken sollte, weil er das Aufgeben der Euklidischen Geometrie verlangte. Dies bedeutet: Die Gesetze, nach welchen sich die festen Körper im Raume anordnen lassen, stimmen nicht genau überein mit den Lagerungsgesetzen, welchen die Euklidische Geometrie den Körpern zuschreibt. Dies meint man, wenn man von „Krümmung des Raumes“ redet. Die Grundbegriffe „Gerade“, „Ebene“ etc. verlieren dadurch ihre exakte Bedeutung in der Physik.

In der allgemeinen Relativitätstheorie spielt die Lehre von Raum und Zeit, die Kinematik, nicht mehr die Rolle eines von der übrigen Physik unabhängigen Fundamentes. Das geometrische Verhalten der Körper und der Gang der Uhren hängt vielmehr von den Gravitationsfeldern ab, die selbst wieder von der Materie erzeugt sind.

Die neue Theorie der Gravitation weicht in prinzipieller Hinsicht von der Theorie Newtons bedeutend ab. Aber ihre praktischen Ergebnisse stimmen mit denen der Newtonschen Theorie so nahe überein, daß es schwer fällt, Unterscheidungskriterien zu finden, die der Erfahrung zugänglich sind. Solche haben sich bis jetzt gefunden:

1) In der Drehung der Ellipsen der Planetenbahnen um die Sonne (beim Merkur bestätigt).

2) In der Krümmung der Lichtstrahlen durch die Gravitationsfelder (durch die englische Sonnenfinsternis-Aufnahmen bestätigt).

3) In einer Verschiebung der Spektrallinien nach dem roten Spektralende hin des von Sternen bedeutender Masse zu uns gesandten Lichtes (bisher nicht bestätigt [1]).

Der Hauptreiz der Theorie liegt in ihrer logische Geschlossenheit. Wenn eine einzige aus ihr geschlossene Konsequenz sich als unzutreffend erweist, muß sie verlassen werden; eine Modifikation erscheint ohne Zerstörung des ganzen Gebäudes unmöglich.

Niemand aber soll denken, daß durch diese oder irgendeine andere Theorie Newtons große Schöpfung im eigentlichen Sinne verdrängt werden könne. Seine klaren und großen Ideen werden als Fundament unserer ganzen modernen Begriffsbildung auf dem Gebiete der Naturalphilosophie ihre eminente Bedeutung in aller Zukunft behalten.

Zusätzliche Bemerkung: Die meine Person und Lebensverhältnisse betreffenden Bemerkungen Ihrer Zeitung zeugen zum Teil von erfreulicher Phantasie des Verfassers. Noch eine Art Anwendung des Relativitätsprinzips zum Ergötzen des Lesers: Heute werde ich in Deutschland als „Deutscher Gelehrter“, in England als „Schweizer Jude“ bezeichnet; sollte ich aber einst in die Lage kommen, als „bête noire“ präsentiert zu werden, dann wäre ich umgekehrt für die Deutschen ein „Schweizer Jude“, für die Engländer eine „Deutscher Gelehrter“.



[1] Auch dieses Kriterium ist inzwischen bestätigt worden.
Anmerkung des Herausgebers.



Quelle: Albert Einstein, Mein Weltbild. Amsterdam: Querido Verlag, 1934, S. 220-28.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite