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Albert Einstein, „Was ist Relativitäts-Theorie?” (28. November 1919)

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Seit dem griechischen Altertum ist es wohl bekannt, daß es zur Beschreibung der Bewegung eines Körpers eines zweiten Körpers bedarf, auf welchen die Bewegung des ersten bezogen wird. Die Bewegung eines Wagens wird auf den Erdboden bezogen, die eines Planeten auf die Totalität der sichtbaren Fixsterne. In der Physik nennt man den Körper, auf den man die Vorgänge räumlich bezieht, Koordinatensystem. Es können zum Beispiel die Gesetze der Mechanik von Galilei und Newton nur unter Benutzung eines Koordinatensystems formuliert werden.

Der Bewegungszustand des Koordinatensystems darf aber nicht willkürlich gewählt werden, wenn die Gesetze der Mechanik gelten sollen (es muß „drehungsfrei“ und „beschleunigungsfrei“ sein). Man nennt ein in der Mechanik zugelassenes Koordinatensystem eine „Inertialsystem“. Der Bewegungszustand eines Inertialsystems ist aber nach der Mechanik kein durch die Natur eindeutig bestimmter. Es gilt vielmehr der Satz: ein relativ zu einem Inertialsystem gradlinig und gleichförmig bewegtes Koordinatensystem ist ebenfalls ein Inertialsystem. Unter dem „speziellen Relativitätsprinzip“ versteht man nun die Verallgemeinerung dieses Satzes auf beliebige Naturvorgänge: jedes allgemeine Naturgesetz, welches inbezug auf eine Koordinatensystem K gilt, maß auch unverändert gelten in Bezug auf ein Koordinatensystem KI, welches relativ zu K in gleichförmiger Translationsbewegung ist.

Das zweite Prinzip, auf dem die spezielle Relativitätstheorie beruht, ist das „Prinzip von der Konstanz der Vacuum-Lichtgeschwindigkeit“. Dieses sagt: Das Licht hat im Vacuum stets eine bestimmte Ausbreitungsgeschwindigkeit (unabhängig vom Bewegungszustand und der Lichtquelle). Das Vertrauen, welches der Physiker diesem Satz entgegenbringt, stammt aus den Erfolgen der Maxwell-Lorentzschen Elektrodynamik.

Die beiden genannten Prinzipe sind durch die Erfahrung mächtig gestützt, scheinen aber logische miteinander nicht vereinbar zu sein. Ihre logische Vereinigung gelang schließlich der speziellen Relativitätstheorie durch eine Abänderung der Kinematik, d.h. der Lehre von den Gesetzen, die Raum und Zeit (vom physikalischen Standpunkt aus) betreffen. Es zeigte sich, daß die Aussage der Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse nur in Bezug auf ein Koordinatensystem Sinn habe, daß die Gestalt von Meßkörpern und die Ganggeschwindigkeit von Uhren von deren Bewegungszustand zum Koordinatensystem abhängen müsse.

Die alte Physik inklusive der Galilei-Newtonschen Bewegungs-Gesetze paßten aber nicht zu der angedeuteten relativistischen Kinematik. Aus letzterer flossen allgemeine mathematische Bedingungen, denen die Naturgesetze entsprechen mußten, wenn die beiden genannten allgemeinen Prinzipien wirklich zutreffen sollten. Diesen mußte die Physik angepaßt werden. Insbesondere gelangte man zu einem neuen Bewegungsgesetz für (rasch bewegte) Massenpunkte, welches an elektrische geladenen Teilchen vortrefflich bestätigt wurde. Das wichtigste Ergebnis der speziellen Relativitätstheorie betraf die träge Masse körperlicher Systeme. Es ergab sich, daß die Trägheit eines Systems von seinem Energie-Inhalt abhängen müsse, und man gelangte geradezu zu der Auffassung, daß träge Masse nichts anderes sei als latente Energie. Der Satz von der Erhaltung der Masse verlor seine Selbständigkeit und verschmolz mit dem von der Erhaltung der Energie.

Die spezielle Relativitätstheorie, welche nichts anderes war als eine systematische Fortsetzung der Maxwell-Lorentzschen Elektrodynamik, wies aber über sich selbst hinaus. Sollte die Unabhängigkeit der physikalischen Gesetze vom Bewegungszustand des Koordinatensystems auf gleichförmige Translationsbewegungen der Koordinatensysteme zu einander beschränkt sein? Was hat die Natur mit den von uns eingeführten Koordinatensystemen und deren Bewegungszustand zu tun? Wenn es schon für die Naturbeschreibung nötig ist, sich eines von uns willkürlich eingeführten Koordinatensystems zu bedienen, so sollte die Wahl von dess Bewegungszustand keiner Beschränkung unterworfen sein; die Gesetze sollten von dieser Wahl ganz unabhängig sein (Allgemeines Relativitätsprinzip).

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