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Vom Reformer zum Revolutionär – Thomas Müntzer, Die Fürstenpredigt (13. Juli 1524)

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Hiernach verwarfen ihn die Schriftgelehrten (Ps. 117, Matth. 21, Markus 12, Lukas 20), wie sie das noch heutzutage pflegen. Ja, sie haben am Ende noch gar wohl die Passion mit ihm gespielt, seit die Schüler der lieben Apostel gestorben sind. Sie haben den Geist Christi für einen Spottvogel gehalten und tun es noch, wie im Psalm 68 geschrieben steht. Sie haben ihn ganz offensichtlich gestohlen wie die Diebe und Mörder (Johannes 10). Sie haben die Schafe Christi der rechten Stimme beraubt und den wahren gekreuzigten Christus zum lauteren phantastischen Götzen gemacht.

Wie ist das zugegangen? Antwort: Sie haben die reine Kunst Gottes verworfen und an seine Statt einen hübschen, feinen, guldenen Herrgott gesetzt, vor dem die armen Bauern schmatzen, wie Hosea klar im 4. Kapitel und Jeremias im 4. Kapitel im Buch der Betrübnis sagt: »Die da vorher gute gewürzte Speise aßen, die haben nun Dreck und Kot statt dessen überkommen.« O Jammer über den erbärmlichen Greuel, von dem Christus selbst Matth. 24 redet, daß er so jämmerlich verspottet wird mit dem teuflischen Messehalten, mit abgöttischem Predigen, Gebärden und Lebensführung und daß danach dort doch nichts anderes ist als ein eitler hölzerner Herrgott.

Ja, ein abgöttischer, hölzerner Pfaff und ein grobes, tölpisches und knuttelisches Volk, das auch das allergeringste Urteil Gottes nicht erschließen kann, ist das nicht ein Jammer, Sünde und Schande? Ich halte immer, daß die Tiere des Bauches (Philipper 3) und die Schweine, von denen Matth. 7 und 2. Petr. 2 geschrieben steht, den edlen Stein Jesus Christus ganz und gar mit Füßen zertreten haben, so gut sie es vermocht haben. Da ist er zum Fußhader der ganzen Welt geworden. Darum haben uns alle ungläubigen Türken, Heiden und Juden aufs billigste verspottet und für Narren gehalten, wofür man auch tolle Menschen halten soll, die ihres Glaubens Geist nicht nennen hören wollen. Darum ist das Leiden Christi bei den verzweifelten Buben nichts anderes als ein Jahrmarkt, wie es noch kein Spießknecht gehabt hat, und wovon der 68. Psalm sagt.

Darum, ihr teuren Brüder, wenn wir aus diesem Unflat herauskommen und rechte Schüler Gottes werden wollen, die von Gott selbst gelehrt sind (Joh. 6, Matth. 23), so wird uns eine große, mächtige Stärke vonnöten sein, die uns von oben hernieder verliehen werde, solch unaussprechliche Bosheit zu strafen und zu schwächen. Das ist die allerklarste Weisheit Gottes, welche allein aus der reinen ungedichteten Furcht Gottes entsprießet (Sap. 9). Diese allein muß uns mit gewaltiger Hand wappnen zur Rache wider die Feinde Gottes mit dem höchsten Eifer zu Gott, wie Sap. 5, Joh. 2, Ps. 68 geschrieben steht. Da gibt es gar kein Entschuldigen mit menschlichen oder vernünftigen Anschlägen, denn die Gestalt der Gottlosen ist über alle Maßen schön und listig wie die schöne Kornblume unter den gelben Ähren des Weizens (Pred.). Aber solches muß die Weisheit Gottes erkennen.

Zum andern müssen wir den Greuel, der diesen Stein verachtet, weiter und genau ansehen. Wenn wir aber das Richtige an ihm erkennen, dann können wir der Offenbarung Gottes täglich gewärtig sein. Oh, das ist ganz teuer und selten geworden in der schalkhaftigen Welt! Denn die listigen Anschläge der Spitzklugen würden uns alle Augenblicke überfallen und uns noch viel höher an der reinen Kunst Gottes hindern (Sap. 4 und Ps. 36). Solchem muß man zuvorkommen in der Furcht Gottes. Wenn diese allein in uns ganz und rein bewahrt würde, dann könnte die heilige Christenheit leicht wieder zum Geist der Weisheit und zur Offenbarung des göttlichen Willens kommen. Dies alles ist verfaßt in der Schrift (Psalm 144, Psalm 110, Prov. 1).

Die Furcht Gottes aber muß rein sein ohne alle Menschen- oder Kreaturenfurcht (Ps. 18, Jes. 66, Luk. 12) Oh, die Furcht ist uns hoch vonnöten! Denn ebensowenig, wie man seliglich zweien Herren dienen kann (Matth. 6), so wenig kann man auch Gott und die Kreatur gleichzeitig seliglich fürchten. Gott kann sich auch über uns nicht erbarmen (wie die Mutter Christi, unseres Herren, sagt), es sei denn, daß wir ihn allein aus ganzem Herzen fürchten. Darum sagt Gott Maleachi 1: »Bin ich euer Vater, wo ist dann meine Ehre? Bin ich euer Herr, wo ist dann meine Furcht?«

Also, ihr teuren Fürsten, ist not, daß wir in diesen ganz gefährlichen Tagen nach 1. Tim. 4 den allerhöchsten Fleiß darauf verwenden, solchem hinterlistigen Übel zu begegnen, wie alle lieben Väter, die in der Bibel verzeichnet sind, es vom Anfang der Welt getan haben. Denn die Zeit ist jetzt gefährlich, und die Tage sind böse (2. Tim. 3, Eph. 5). Warum? Allein darum, daß die edle Kraft Gottes so gar jämmerlich geschändet und verunehrt wird, daß die armen groben Menschen also durch die heillosen Schriftgelehrten verführt werden mit großem Geplauder, wie der Prophet Micha 3 davon sagt, was jetzt fast aller Schriftgelehrten Art ist – nur gar wenige ausgenommen –, daß sie lehren und sagen, daß Gott seinen lieben Freunden seine göttlichen Geheimnisse nicht mehr offenbare durch rechte Gesichte oder sein mündliches Wort etc. Sie bleiben also bei ihrer unerfahrenen Weise (Sir. 34) und machen über die Menschen, die mit der Offenbarung Gottes umgehen, ein Sprichwort, wie es die Gottlosen mit dem Jeremias (20. Kapitel) taten: Höre, hat dir Gott auch neulich zugesprochen? Oder hast du den Mund Gottes neulich gefragt und mit ihm geratschlagt? Hast du den Geist Christi? Solches tun sie mit großem Hohn und Spott.

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