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Martin Luthers „Turmerlebnis” (1545)

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So siehe nun hier zumal in meinem Fall, wie schwierig es ist, sich aus Irrtümern herauszuwinden und zu befreien, die durch das Vorbild der ganzen Welt verfestigt und durch lange Gewöhnung gleichsam in Natur verwandelt sind. Wie wahr ist doch das Sprichwort: »Gewohntes zu lassen ist schwer.« Und: »Die Gewohnheit ist unsre zweite Natur.« Und wie wahr sagt es Augustin: »Gewohnheit wird Zwang, wenn man ihr nicht widersteht.« Was mich betrifft, so hatte ich damals schon während sieben Jahren die heilige Schrift privat und öffentlich aufs aufmerksamste gelesen und gelehrt, so daß ich fast alles im Gedächtnis hatte. Ferner hatte ich auch die Anfänge der Erkenntnis Christi und des Glaubens an ihn daraus geschöpft, daß wir nämlich nicht durch Werke, sondern durch den Glauben an Christus gerecht und selig werden. Und schließlich vertrat ich das, wovon jetzt die Rede ist: daß der Papst nicht nach göttlichem Recht das Haupt der Kirche sei, bereits in der Öffentlichkeit. Dennoch sah ich das, was daraus folgte, noch nicht: daß nämlich dann der Papst notwendig vom Teufel sei. Denn was nicht von Gott stammt, das muß vom Teufel sein.

So hingenommen war ich, wie gesagt, von dem Vorbild und hohen Ansehen der heiligen Kirche sowie durch meine eigene Gewohnheit, daß ich dem Papst ein menschliches Recht zugestand, das doch, wenn es nicht durch göttliche Autorität gestützt wird, Lüge und Teufelszeug ist. Denn den Eltern und den Amtspersonen gehorchen wir, nicht weil sie selbst es befehlen, sondern weil es so Gottes Wille ist, 1.Petr.2,13. Daher kommt es, daß ich mit einigem Gleichmut diejenigen ertragen kann, die noch ziemlich hartnäckig am Papsttum hängen, zumal solche, die weder die heilige Schrift noch die weltlichen Bücher dazu gelesen haben, während doch ich selbst in so vielen Jahren die heilige Schrift aufs sorgfältigste studiert und trotzdem so hartnäckig am Papsttum gehangen hatte.

Im Jahre 1519 ließ Leo x., wie gesagt, die Goldene Rose durch Karl von Miltitz überbringen, der viel mit mir verhandelte, damit ich mit dem Papst wieder versöhnt würde. Er hatte 70 apostolische Kurzschreiben bei sich, um, falls Fürst Friedrich mich ihm auslieferte, wie es der Papst durch die Rose zu erreichen suchte, in jeder Stadt eines davon anzuschlagen und so mich sicher nach Rom zu bringen. Er gab mir gegenüber jedoch seines Herzens Gedanken preis, indem er sagte: »O Martin, ich meinte, du seiest irgendein uralter Theologe, der hinter dem Ofen sitzend so mit sich selbst disputiert hätte. Jetzt aber sehe ich, daß du noch in der Blüte der Jugend und bei voller Kraft bist. Hätte ich 25 000 Bewaffnete, so traute ich es mir nicht zu, dich nach Rom bringen zu können. Habe ich mich doch auf der ganzen Reise nach der Einstellung der Leute erkundigt, was sie von dir hielten. Siehe da, wo ich einen fand, der für den Papst einstand, traten gleich drei für dich ein gegen den Papst.« Das war freilich lachhaft: Er hatte auch alte Weiblein und junge Mädchen in den Herbergen befragt, was sie vom römischen Stuhl hielten; weil sie aber diesen Ausdruck nicht kannten und an ihren Stuhl zu Hause dachten, antworteten sie: »Wie können wir wissen, was ihr für Stühle in Rom habt, ob hölzerne oder steinerne?«

Deshalb bat er mich, ich möge auf das bedacht sein, was dem Frieden diene; er werde sich alle Mühe geben, daß der Papst dasselbe tue. Ich meinerseits habe auch entgegenkommend versprochen, ich werde bereitwilligst alles tun, was ich nur irgend mit unverletztem Wahrheitsgewissen vermöchte; auch ich wünschte den Frieden und sei um ihn bemüht, weil ich, mit Gewalt in diese Streitigkeiten hereingezogen, alles nur notgedrungen getan hätte, was ich getan habe; meine Schuld sei das nicht!

Er hatte aber Johann Tetzel vom Predigerorden, den ersten Urheber dieses Trauerspiels, zu sich bestellt. Und er zerbrach diesen Mann, bisher ein Schrecken für alle und selber ein unerschrockener Schreihals, mit päpstlichen Worten und Androhungen so sehr, daß er von nun an dahinsiechte und schließlich an Schwermut starb. Ihn habe ich, sobald ich davon erfuhr, noch vor seinem Tode mit einem freundlich geschriebenen Brief getröstet und ihn geheißen, guten Mutes zu sein; er solle sich auch in Erinnerung an mich nicht mehr ängsten. Aber vermutlich ist er unter der Last des Gewissens und der päpstlichen Ungnade gestorben.

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