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Martin Luthers „Turmerlebnis” (1545)

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Im gleichen Jahr war bereits Magister Philipp Melanchthon vom Fürsten Friedrich hierher berufen worden als Lehrer der griechischen Sprache, ohne Zweifel damit ich in der Theologie einen Arbeitsgefährten hätte. Denn was Gott der Herr durch dieses Werkzeug nicht bloß in der allgemeinen Wissenschaft, vielmehr in der Theologie ausgerichtet hat, das bezeugen dessen Werke zur Genüge, auch wenn der Satan mit seinem gesamten Gefolge darüber tobt.

Im folgenden Jahr 1519 starb im Februar Maximilian, und nach dem Reichsrecht wurde Herzog Friedrich zum Verweser bestellt. Da hörte für ganz kurze Zeit der Sturm auf zu wüten, und allmählich griff die Verachtung der Exkommunikation, das heißt des päpstlichen Bannstrahls, weiter um sich. Denn als Eck und Carraciolo aus Rom die Bulle, die den Luther verdammte, überbracht und sie bekanntgemacht hatten – jener hier und dieser dort beim Kurfürsten Friedrich, der damals gerade in Köln war, um zusammen mit anderen Fürsten den jüngst gewählten Kaiser Karl zu empfangen –, da nahm der Kurfürst es äußerst entrüstet auf und warf jenem päpstlichen Windbeutel mit großer Unerschrockenheit und Unbeugsamkeit vor: Während seiner Abwesenheit hätten sie beide, er und Eck, die Herrschaftsbereiche seines Bruders Johann und seiner selbst in Unruhe versetzt. Und er ließ sie so prächtig abfahren, daß sie mit Schimpf und Schande von ihm schieden. Denn der Fürst, mit einem unglaublich guten Verstand ausgestattet, durchschaute die Kunstkniffe der römischen Kurie und wußte die Herren angemessen zu behandeln. Er besaß nämlich eine äußerst feine Nase dafür und roch den Braten besser und von viel weiter her, als die Römlinge dies erwarten oder fürchten konnten.

Deshalb sahen sie daraufhin ganz davon ab, es mit ihm zu versuchen. Denn auch die sogenannte Goldene Rose, die ihm im selben Jahre von Leo x. übersandt wurde, würdigte er keiner weiteren Ehre, ja er machte sie lächerlich, so daß sich die Romanisten gezwungen sahen, ihre Bemühungen, einen solchen Fürsten zu täuschen, als aussichtslos aufzugeben. Und unter dem Schirm dieses Fürsten nahm das Evangelium einen glücklichen Fortgang und breitete sich weiter aus. Sein Ansehen bewog sehr viele; konnte er doch als ein so weiser und klarblickender Fürst nur bei Gehässigen in den Verdacht geraten, er wolle Ketzerei oder Ketzer hegen und beschützen. Das hat dem Papsttum großen Schaden eingetragen.

In demselben Jahre wurde die Disputation in Leipzig abgehalten, zu der Eck uns beide, Karlstadt und mich, herausgefordert hatte. Jedoch konnte ich durch keinen meiner Briefe eine Geleitzusage von Herzog Georg erwirken, so daß ich nicht um zu disputieren, sondern um zuzuschauen unter dem Karlstadt zugesicherten Geleit nach Leipzig ging. Wer es für mich hintertrieben hat, weiß ich nicht. Denn noch war mir Herzog Georg nicht feindselig gesinnt, was ich sicher wußte.

Hier suchte mich Eck in der Herberge auf und sagte, er habe gehört, ich verweigere die Disputation. Ich antwortete: »Wie soll ich disputieren können, wenn ich kein Geleit vom Herzog Georg bekommen kann?« Darauf jener: »Wenn ich mit dir nicht disputieren darf, will ich’s auch mit Karlstadt nicht, denn deinetwegen bin ich hergekommen. Was wird, wenn ich für dich freies Geleit erwirke? Wirst du dann mit mir disputieren?« »Erwirk’s«, sagte ich, »und es soll geschehen.« Da ging er fort, und bald darauf wurde auch mir freies Geleit gewährt und die Möglichkeit verschafft, zu disputieren.

Das tat Eck, weil er seinen sicheren Triumph schon vor sich sah wegen meiner These, in der ich bestritt, daß der Papst nach göttlichem Recht das Haupt der Kirche sei. Hier öffnete sich ihm ein weites Feld und die beste Gelegenheit, sich erfolgreich einzuschmeicheln und die Gunst des Papstes zu verdienen, anderseits mich mit Haß und Argwohn zu überschütten. Das hat er auch entschlossen während der ganzen Disputation getan und dennoch weder seine Thesen bewiesen noch die meinen widerlegt, so daß selbst Herzog Georg bei einem Frühstück zu Eck und mir sagte: »Sei er nun Papst nach menschlichem oder nach göttlichem Recht, er ist eben Papst!« Diesen Ausspruch hätte er nie getan, wenn er nicht von den Argumenten beeindruckt gewesen wäre, sondern Eck allein recht gegeben hätte.

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