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George Grosz, „Unter anderem ein Wort für deutsche Tradition” (1931)

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Hunderttausende, die arbeiten möchten, finden keine Beschäftigung. Mit jeder neuen Maschine werden wieder soundsoviele von der Arbeit pensioniert. Auch den selbstgefälligsten Kapitalisten wird’s schon zu dumm, und sie zerbrechen sich ihre dickhalsigen Köpfe, wie man dem Übel beikommt. Diktaturgerede geht um. Werden sie aber damit der Maschine, die ja bis ins Endlose gefräßig ist, Herr werden? Ich zweifle bescheiden. Munter werden nach wie vor Bedürfnisse gezüchtet, nur damit das Biest nicht stillsteht. Denn das wäre der Tod der Produktion und der Prosperity. Unmöglich das auszudenken ... daß morgen keine Wälder mehr in Holzpapier verwandelt werden, unmöglich, sich eine Zivilisation ohne kunstseidene Strümpfe und Schlüpfer vorzustellen. Nein. Man muß Bedürfnisse züchten. Immer ’ran an die Massen. Komfort im Namen des Fortschritts. Hebung des Standards über alles. Durch tausend Pressekanäle wird’s uns täglich eingetrichtert. Zu leben ohne Staubsauger und Auto … ist nicht wert zu leben. Man sehe sich mal daraufhin die amerikanischen Zeitschriften an. Wahre Dokumente der hemmungslosen Zivilisation. Dreiviertel Inserate, immer neue Bedürfnisse. Mittendrin ein bißchen Romantext, in denen dann wiederum leicht verschleiert auch noch zum Überdruß Propaganda für dieses zweifelhafte Komfortleben gemacht wird. Rastlos schluckt die Maschine und spuckt ... Fertigfabrikate noch und noch. Das ruht nicht eher aus, bis man den Nordpol künstlich aufgetaut und auch dort den Eskimo ans laufende Band gesperrt.

Die Großstadt, ein wahrer Wasserkopf, Kontorstadt, Umsatz- und Messeplatz. Nach Feierabend zweifelhafte Vergnügungen ... hastig, geräuschvoll ... falsch beglitzert, den tired businessman aufzupulvern für ein paar Stunden. Nur nicht denken ... Geld, Weiber, Sekt. Billiges Theater. Außerhalb ihrer nervenaufreibenden Geschäfte für nichts Ernstes mehr zu haben. Revue und die endlosen niedlich vorgekauten Kinobilder. Die Frauen, geschminkte, manikürte, hohle Attrappen, vernachlässigt, mit Gigolos in den Hotels und beim Tanztee. Welch Leben?

Krone des Lebens: die große Villa am sicheren Platz, vollgestopft mit uralten Kunstwerten als Geldanlage ... die teure Limousine und ein Stapel von Frackhemden. Schaurigster Materialismus und Langeweile.

Die Paläste der Zeit, Bürohäuser mit sieben Stocks, Warenhauskathedralen, Rundfunkpaläste, Kinotempel ... den unbekannten Götzen einer sinnlosen Maschinenproduktion geweiht.

Die Mächtigen der Erde am Gelde klebend, Umsatz, Kaufkraft des kleinen Mannes ihr Schicksal.

Die Arbeit bis ins kleinste wissenschaftlich organisiert. Was heißt da noch Handwerk. Verbilligen ... verbilligen. Ran an den Hebel. Nach ein paar Stunden begreift’s auch der Ungeübteste ... und ist beteiligt am Herstellungsprozeß. Macht von früh bis spät nun seine Schraube fest. Schneller, schneller, denn so grotesk es klingt, es gibt von all dem Pofel, den die Maschinen serienmäßig herstellen, ja noch viel zu wenig.

Wütend konkurriert und produziert man gegeneinander. Toller Wettlauf um die Märkte. Verbilligen ... Hebung der inneren Kaufkraft ... die Schlagworte. Daß all dieser Dreck von gestanztem Blech, Emaille ... Preßglas und Textilpappe zum Leben gar nicht nötig ist, fällt keinem bei.

Endlose Lohnkämpfe. Scheinbar unabwendbarer ewiger Kreislauf. Die Arbeitnehmer zusammengehalten in gewaltigen Organisationen. Gewerkschaftspäpste von unten emporgestiegen mit mehr Macht fast wie ein König früher. Pompöse Gewerkschaftspaläste in modernstem Stil, im Vestibül aufgestellt machtsymbolische Statuen ... künden von Glanz und Fortschritt. Erholungshäuser kilometerlang, und Ferienkolonien an der See. Wer hätte wohl 1830, als Dummköpfe in seherischer Anwandlung die ersten englischen Maschinen zerstörten, dies erahnt? ... nicht wahr, doch ein wirklicher Fortschritt?

So ist das um 1931 im Zeitalter des Sozialismus.

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